Ein Prüfstein für Trauer und Mitgefühl
Ich kann mich bis dato nicht daran erinnern, dass es seit dem Vietnam-Krieg etwas gegeben hätte, das in diesem Land so viel gemeinsame Trauer und Fassungslosigkeit geschaffen hat wie das Debakel mit den lateinamerikanischen Einwanderer-Kindern. Wenn ich sehe und davon höre wie unbarmherzig mit diesen verzweifelten Eltern, ihren Kindern, sogar den Babys umgegangen wird, dann trifft mich das mitten ins Herz. Aber das macht nicht nur mich zutiefst betroffen, sondern wo immer ich hingehe, vertrauen mir auch andere an, welchen tiefen Schmerz sie dabei empfinden. Erst kürzlich bat mich ein langjähriger Patient, dessen Familie ich seit über 30 Jahren behandle, zum gemeinsamen Mittagessen. Das Gesprächsthema war „Wie können wir diese unfassbare Ungerechtigkeit aufhalten und mit unserem Mitgefühl etwas ganz anderes tun?“ Als mein Mann und ich kürzlich das Kino verließen, nachdem wir den Film „Der Papst: Ein Mann Seines Wortes“ gesehen hatten, kam die Mutter eines anderen langjährigen Patienten mit Tränen in den Augen auf mich zu und fragte: „Was können wir nur tun?“
Ich verschlinge Bücher über Flüchtlinge (einige von uns haben eine Arbeitsgruppe gegründet), z. B. „Exit West“ von Mohsin Hamid, „The Displaced – Refugee Writers on Refugee Lives“ (Hrsg.: Viet Thanh Nguyen) und „Man’s Search for Meaning“ von Viktor Frankl.
Dr. Frankls Geschichte war mehr als entsetzlich und sie war heldenhaft. Als Jude im Zweiten Weltkrieg hatte er die Wahl, in die USA zu fliehen oder mit seinen Eltern in Europa zu bleiben. Als österreichischer Neurologe und Psychiater entschied er sich dafür, in Österreich zu bleiben und widmete sich mit all seiner Kraft der Psychotherapie von Insassen der Konzentrationslager Auschwitz, Theresienstadt und Dachau, in denen er ebenfalls inhaftiert war. Bitte, wenn jemand von Ihnen, der diesen Artikel liest, nicht glaubt, dass der Holocaust wirklich stattgefunden hat, googeln Sie Victor Frankl und beschäftigen Sie sich mit seiner Geschichte und den erschütternden Fotos der KZ-Überlebenden. Dieses Buch, das 1946 veröffentlicht wurde und zu den zehn einflussreichsten Büchern in den USA zählt, hatte sich bis zum Tod des Autors 1997 über 10 Millionen Mal verkauft. „Wer leuchten will, muss sich verbrennen lassen“, schloss Dr. Frankl. Wie viele von uns hätten die gleiche Entscheidung getroffen wie er, wie viele von uns hätten sich anders entschieden, um den unsagbaren Schrecken und Grausamkeiten zu entgehen, denen er ausgesetzt war! Was ihn durch all die Schrecken und das Leid trug, war die Suche nach einem tieferen, bleibenden Sinn oder Zweck des Lebens.
Glücklicherweise lebe ich in einer Gemeinde, die Flüchtlingen freundlich zugeneigt ist. Obwohl Langley, WA, sich (aus Angst einiger Stadträte vor dem Verlust von Bundesmitteln) zunächst nicht dafür entschied, eine „Zufluchtsstadt“ („Sanctuary City“) zu werden, gab sie ein paar Monate später eine Einwanderer-freundliche Erklärung ab. Viele der eintausend Einwohner unseres „Dorfes“ sind begeisterte Reisende, und die von der Northwest Whidbey Language Association (NWLA) und verschiedenen Kirchen gesponserten interkulturellen Veranstaltungen sind meist gut besucht und werden großzügig unterstützt. Im Jahr 2007 veranstalteten mein Mann und ich eine Spendenaktion für eine peruanische Familie von der Insel Amantaní am Titicacasee und sammelten an einem Abend 3500 Dollar. Erst letzte Woche sponserte diese Organisation einen berührenden, die Augen öffnenden Abend mit drei außergewöhnlichen Frauen, die unbeschreibliche Grausamkeiten durch systematische Vergewaltigungen in der Demokratischen Republik Kongo überlebten, der Vergewaltigungshochburg der Welt. Ich habe meine Dienste angeboten, um diese Frauen mit Homöopathie wegen ihrer Posttraumatischen Belastungsstörung und anderen Gesundheitsproblemen zu behandeln. Ich hoffe, dass sie Heilung finden werden.
Ich erinnere mich an meine frühe Erfahrung mit Flüchtlingstraumata in meinem dritten Jahr in Bastyr. Als Doktorandin dieser Naturheil-Klinik, die damals ganz neu aufgebaut worden war, war ich zufällig die Einzige, die fließend Spanisch sprach, als eine Welle salvadoreanischer Flüchtlinge in Seattle ankam. Sie waren von einer nahegelegenen christlichen Kirche mit offenen Armen empfangen worden. Da die leitenden Ärzte nicht mit diesen Frauen und Kindern kommunizieren konnten, konnte ich mich glücklicherweise eigenverantwortlich um diese Menschen kümmern. Ihre persönlichen Geschichten waren wirklich erschütternd. Ich erinnere mich besonders an Maria, die vergewaltigt worden und auf einen Lastwagen mit Leichen gestapelt worden war und nur überlebte, weil sie einen günstigen Moment hatte nutzen können, um abzuspringen und zu entkommen. Ihre Geschichte und die ihrer Leidensgenossen hat mich ein Leben lang begleitet. Diese Geschichten, und viele weit schlimmere, tauchen täglich in den Medien auf, weil so viele Familien weltweit vertrieben wurden.
Nun wer Augen im Kopf hat und bereit ist, hinzuschauen, weiß, dass Flüchtlingsfamilien in so vielen Teilen der Welt ums Überleben kämpfen und dabei Ertrinken, Verhungern, Mord, Vergewaltigung, Rücksichtslosigkeit und Verwahrlosung riskieren. Glücklicherweise kann die Homöopathie ein Balsam für Körper, Geist und Seele sein. Das Konstitutionsmittel zu finden, das den Menschen in seiner Ganzheit erfasst, erfordert Fachwissen, Sensibilität und Zeit. Es kann bei der Heilung von körperlichen, geistigen und emotionalen Wunden von enormem Nutzen sein, selbst bei solchen, die zu schrecklich sind, um sie sich vorzustellen. Für diejenigen unter Ihnen, die nicht über das nötige homöopathische Fachwissen und entsprechende Erfahrungswerte verfügen, stelle ich nachfolgend einige grundlegende homöopathische Mittel vor, die in solchen Fällen eine deutliche Linderung von Schmerzen und Leiden bewirken können. Wenn sie unbehandelt bleiben, können diese Probleme und Zustände ein Leben lang zurückbleiben und an zukünftige Generationen weitergegeben werden.
Posttraumatische Belastungsstörung
Mittel, die man bei Posttraumatischen Belastungsstörungen zuerst in Betracht ziehen sollte, sind Aconitum, Ignatia, Arnica und Stramonium.
Aconitum (Aconitum napellus oder blauer Eisenhut)
Dies ist das Mittel Nummer eins, an das man denken sollte, wenn jemand vor lauter Panik und Terror erstarrt ist. Auslöser dafür können Situationen sein, in denen sich jemand z. B. in einem Stadion, einem Bahnhof oder einem Supermarkt aufhält, in dem urplötzlich ein Terroranschlag verübt wird. Und wie muss es den kongolesischen Frauen ergangen sein, als Militante plötzlich und unerwartet in ihre Dörfer und Häuser stürmten, vergewaltigten, mordeten, bedrohten und terrorisierten! Diese dabei entstehende absolute Panik, die sich in immer wiederkehrende Flashbacks oder Albträume für den Rest des Lebens verwandeln kann, kann durch Aconitum dramatisch gelindert werden. Typische Hinweise auf einen Aconitum-Zustand sind ein rasendes, pochendes Herz, körperliche und geistige Unruhe, ein überwältigendes Gefühl eines bevorstehenden Todes – mit einem Wort: Schock. Die Nerven sind gereizt, das Herzklopfen ist anhaltend.
Die Beschreibung dieses Mittels als „akute, plötzliche und gewaltsame Angriffe“ ist der Inbegriff dessen, was viele Flüchtlinge erlebt haben, wenn ihre Familie vor ihren Augen ermordet, vergewaltigt oder zerstückelt wurde, und dann die Angst aufkam, der Nächste zu sein. In der Gedankenwelt dessen, der so etwas erlebt hat, wird sich diese schreckliche Szene immer und immer wieder wiederholen, selbst, nachdem er/sie in Sicherheit ist. Das ist der Aconit-Zustand.
Stramonium (Datura stramonium oder Weißer Stechapfel)
hat ähnliche Indikationen wie Aconitum. Aber in Anbetracht des Traumas, das Immigrantenkindern zugefügt wird, die von ihren Eltern getrennt werden, ist es besonders wichtig zu erwähnen.
Bei Stramonium, einem Mitglied der Familie der Nachtschattengewächse, ist die vorherrschende Angst, absolut allein in der Wildnis gefährlichen, wilden Tieren ausgeliefert zu sein. Solche Kinder haben Angst vor der Dunkelheit, verletzt zu werden, niemanden um sich herum zu haben, an den sie sich klammern können und absolut verlassen zu sein. Ich habe gerade gelesen, dass die Migrantenkinder, die ihren Eltern und manchmal auch ihren Geschwistern buchstäblich entrissen wurden, daran gehindert werden, sich zu umarmen, Spitznamen zu verwenden und sogar bei ihren Geschwistern zu bleiben. In einen Käfig oder eine Zelle ohne Tageslicht gesteckt zu werden, ungeschützt, ohne schützende Kleidung (denken Sie an eine fadenscheinige Decke in einer kalten Zelle oder einem kalten Raum) ist genau die Ätiologie, die einen Stramonium-Zustand auslösen wird. Diese zugrunde liegende Panik kann sich in Gewalt entladen, aber nur wegen des schieren Schreckens.
Ignatia (Ignatiusbohne)
Das Schlüsselwort für diejenigen, die dieses Mittel brauchen, ist Kummer. Sie äußert sich oft in unkontrollierbarem Schluchzen, Seufzen und Hysterie. Aber die andere Seite ist unausgedrückter Kummer. Die Enttäuschung ist tiefgreifend und die Person ist untröstlich. Sie kann absolut hysterisch werden oder in einen Zustand fallen, in dem sie trotz tiefster Trauer, Leiden und Verlust nicht weinen kann. Es kann das Gefühl eines Kloßes im Hals und eines Drucks in der Brust auftreten. Man denke an eine mittelamerikanische Mutter, deren Kind ihr aus den krampfhaft festhaltenden Armen gerissen wird, oder eine syrische Familie, deren Floß an einer griechischen Küste angespült wird, nachdem sie unterwegs ihr Kleinkind im Meer verloren hat. Das kann auch eine kongolesische Frau sein, die das Massaker an ihren Eltern miterlebt und irgendwie eine Gruppenvergewaltigung durch Soldaten überlebt hat, oder die langjährige Trauer von Familien aus Eritrea oder Nigeria, die fünfzehn oder zwanzig Jahre in einem unzureichenden Basis-Flüchtlingslager verbringen, weil sie einfach nirgendwo anders hinkönnen.
Arnica
Arnica montana (Bergwohlverleih) ist das Mittel Nummer eins bei Traumata, die mit körperlichen Verletzungen einhergehen, sei es, dass man bei der Explosion eines Minenfeldes zwar mit dem Leben, aber nicht mit den Gliedmaßen davongekommen ist, oder dass man von kilometerlangen Fußmärschen aus geplünderten oder niedergebrannten afrikanischen Dörfern zerschlagen und verwundet ist. Arnica kann die Angst vor Verletzungen sowohl geistig als auch körperlich lindern, ist aber das klassische Mittel für Unfall- oder Trauma-Opfer nach einer körperlichen Verletzung, einem Unfall, Sturz und Schock.
Eine häufige Reaktion derer, die nach einem Trauma Arnica brauchen, ist zu sagen, dass es ihnen gut geht, dass sie keine Hilfe brauchen und einfach weggehen können. Aber sie stehen unter Schock und sind nicht in Ordnung. Sie können tiefgreifende Verletzungen haben, wie z. B. innere Blutungen, sogar lebensbedrohliche. Es ist also wichtig, ihnen zu helfen und nicht zu glauben, dass es ihnen gut geht. Das weiß ich aus eigener Erfahrung, denn ich bin vor Jahren einmal auf einer belebten Straße in Seattle vor einem stehenden Auto über die Straße gegangen und hatte aufgrund eines toten Winkels das zweite Auto auf der anderen Fahrbahn nicht gesehen. Dessen Fahrer hatte mich glücklicherweise gesehen und gebremst, hatte mich aber doch noch leicht erfasst. Ich ging wie gewohnt weiter und wollte in mein geparktes Auto einsteigen, aber der Fahrer hielt mich an, um sich zu vergewissern, dass ich in Ordnung war. Ich war eindeutig in einem Arnica-Zustand.
Tiefergehende Heilmittel für langanhaltende Posttraumatische Belastungsstörungen und andere Symptome
Fühlen Sie sich frei, die fünf oben genannten Mittel für die angegebenen Zustände zu verwenden. Am gängigsten ist eine C 30-Potenz. Viele dieser Fälle sind aber sehr tiefsitzend, und so würde ich einmal eine C 200- oder 1M-Potenz geben und dann den weiteren Verlauf aufmerksam verfolgen. Die Substanzen, die sich nicht mit der Homöopathie vertragen, sind Eukalyptus, Kampfer, Menthol und Teebaumöl. Möglicherweise müssen die Mittel auch wiederholt werden, wenn die Person Kaffee trinkt.
Es gibt über 4000 Konstitutionsmittel. Welches ein Flüchtling mit Posttraumatischen Belastungsstörungen konstitutionell, d.h. auf einer tieferen, chronischen Ebene braucht, ist höchst individuell. Mittel aus Magnesium zum Beispiel gelten als Heilmittel bei einem starken Gefühl von absoluter Verlassenheit und Isolation. Verwandte mineralische Heilmittel wie Natrium, Silicea, Alumina und andere sprechen Fragen der Identität an. Hochsensible Menschen brauchen möglicherweise pflanzliche Mittel und solche mit starken Opfer- oder Aggressor-Themen brauchen wahrscheinlich Mittel aus dem Tierreich. Da die Behandlung so individuell ist, kann auf den besonderen Zustand des Einzelnen eingegangen werden. Ich wünschte, mehr traumatisierte Flüchtlinge hätten Zugang zu homöopathischen Mitteln und erfahrenen Homöopathen. In dieser Welt, in der so viele vertrieben, obdachlos, isoliert und leidend sind, kann die Homöopathie eine wertvolle alternative Heilweise sein.
Veröffentlicht mit freundlicher Erlaubnis des Townsend Letter for Doctors
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