Ein wahrhaft großer Reformer des 16. Jahrhunderts in den Bereichen Medizin, Gesellschaft und Religion
3.2. Ein großer sozialer Reformer
Diese „theosophischen“ Lehren widersprachen bestimmt nicht der Offenheit von Paracelsus gegenüber den Problemen und Nöten der am wenigsten fortgeschrittenen sozialen Gemeinschaften aller Menschen, die Ungerechtigkeiten und Schmerzen aller Art zu erleiden hatten. Er war immer auf der Seite der Bedürftigen, Schutzbedürftigen und der Armen im Allgemeinen. In seiner Arbeit als Arzt vergaß er nie die armen und einfachen Menschen. Er versuchte sie so zu behandeln, als wären sie seine eigenen Brüder. Nie verlangte er Geld von ihnen. Sein enger, tiefgehender und ununterbrochener Kontakt mit der Welt der Ausgegrenzten und Armen der Gesellschaft machte ihm ihre Probleme sehr bewusst. In den Jahrzehnten, in denen er lebte, konnte Paracelsus aus nächster Nähe beobachten, dass die demütigsten Gemeinschaften diejenigen waren, die am meisten geschädigt wurden durch die politisch und religiös motivierten Aufstände und Kriege, die die sozialen Ungerechtigkeiten, die diese Gemeinschaften erlitten, verschlimmerten. Dadurch widmete er sich wichtigen Gruppen hilfloser Menschen, wie den Bauern, Bergbauleuten und sogar Frauen, indem er ihnen half, die sozialen Ungerechtigkeiten, die sie erlitten, zu überwinden. Er kämpfte für eine soziale Gleichheit, die auf christlichen Prinzipien basierte. Er kümmerte sich weniger darum, ob ihn sein Kampf gegen die Positionen, Meinungen oder Lehren der Regierungsbehörden oder mächtiger ökonomischer Gruppierungen einnahm. Auch im sozialen Bereich war Paracelsus einige Jahrhunderte seiner Zeit voraus. Auf eine gewisse Weise arbeitete er daran mit, eine Grundlage für das zu schaffen, was heute als soziale Bewegungen bezeichnet wird, die mit dem Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit verbunden waren, die hauptsächlich während des 19. Jahrhunderts mit dem Ziel von Verbesserungen für die niedrigen und armen sozialen Klassen auftauchten. Wie Pagel sagt: „Sein Leben und seine Arbeit waren ein ununterbrochener Krieg gegen die Privilegierten und Mächtigen.“1
Nie jedoch unterstützte er den Kampf oder die gewaltsamen Revolten gegen die Privilegierten, die von einigen Gruppen ideologischer oder religiöser Art dieser Zeit ausgeheckt und ausgetragen wurden, wie z. B. den Anabaptisten. Laut Paracelsus konnten die gewaltsamen Aufstände die Situation jener, die Opfer der Ungerechtigkeiten waren, nicht verbessern. Trotz der ernsthaften Zusammenarbeit, die er mit diesen Gemeinschaften entwickelte, war er immer ein Verfechter friedlicher und pazifistischer Mittel, um Reformen gewaltlos durchzuführen. Er verteidigte die Werte und humanistischen Ideale der Zusammenarbeit, Solidarität und Toleranz, um die so sehr ersehnte Harmonie der Klassen und der sozialen Gerechtigkeit herbeizuführen. Dennoch verfolgte ihn die Obrigkeit immer wieder, als hätte er die sozialen Aufstände gefördert, in die er sich hineingezogen fühlte, oder als wäre er am meisten für sie verantwortlich.
Sein Engagement für die Bauern
Der offensichtlichste soziale Krieg, in den er klar durch seinen Einsatz für die einfachen Menschen hineingezogen wurde, war der so genannte „Deutsche Bauernkrieg“, der auch als die „Erhebung des Gemeinen Mannes“ bezeichnet wurde. Dieser hauptsächlich von Bauern ausgetragene und gewaltsame Volksaufstand fand im Herzen des Heiligen Römisch-Deutschen Reiches statt, hauptsächlich im Süden, Westen und in den zentralen Gebieten Deutschlands. Er betraf auch die Gebiete des heutigen Österreichs und der heutigen Schweiz, d.h., er fand in einer sehr großen Region Zentraleuropas statt und erstreckte sich vom Rhein bis zur Donau. Tatsächlich holte der Krieg Paracelsus ein, als er 1524 in Salzburg war. In jenem Jahr, als er in dieser Stadt ankam um sich niederzulassen – zum ersten Mal als bleibender städtischer Arzt -, bereitete sich Salzburg auf den Bauernaufstand vor, der bis 1525 andauerte. Er blieb in der Stadt, solange der Konflikt andauerte. Sein Einsatz für die Zeloten zwang ihn, als der Krieg beendet wurde, aus Salzburg zu fliehen, um eine Strafe zu vermeiden, die wahrscheinlich die Todesstrafe gewesen wäre.
Man sagt, dass dieser Aufstand der massivste und am meisten generalisierte Volksaufstand in Europa vor der Französischen Revolution von 1789 war. Während des Frühlings und Sommers im Jahre 1525 gab es insgesamt ca. 300.000 aufständische Bauern. Am Ende des Aufstandes wurden 100.000 Opfer unter den Aufständischen gezählt. Das war das Resultat einer Explosion innerer Spannungen zwischen den Bauern und Grundeigentümern. Die Bauern lebten unter sehr harten ökonomischen und sozialen Bedingungen, die sich ungefähr alle 10 Jahre durch eine schlechte Ernte auch noch verschlimmerten. In den letzten Jahren hatte sich die Situation für die Bauern sogar noch mehr verschlechtert, weil sie ihrer Ländereien, einst Gemeinschaftseigentum, beraubt und diese eingezäunt worden waren. Hinzu kam, dass die Nutzungsrechte des gemeinschaftlichen Weidelandes, die Abholzung von Wäldern, das Fischen und die Jagd eingeschränkt oder unterbunden und die von den Lehnsherren und Fürsten erhobenen Steuern für die Finanzierung der vielen Kriege, in die sie für etliche Jahre sich hineinziehen ließen, erhöht worden waren.2 Und das war noch nicht alles. Die Kirche fügte diesen harten Umständen noch die Forderung nach einer Grundsteuer hinzu, eine weitere Art der Steuer in Höhe eines Zehntels der Ernte. Sebastian Frank, ein Humanist und großer Freund von Paracelsus, der wie auch Paracelsus eine gewaltfreie soziale und kirchliche Reform vertrat, schrieb während jener Jahre, dass die bedrückenden Grundsteuern und Schulden, die aufgezwungene Arbeit, Abgaben, Zinszahlungen und weitere berechtigte Motive für Klagen den Hauptgrund für den so genannten Krieg der Bauern in den zwanziger Jahren bildeten.3
Vor diesem Hintergrund war es nicht verwunderlich, dass Paracelsus die Gründe der Armen, die vom Land lebten, um ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen zu verbessern, gut verstehen konnte. Er verstand sie nicht nur und drückte seine Sympathie für die Aufständischen aus, sondern verband sich mit ihnen auf eine bestimmte Art und Weise.4 Einige Quellen weisen darauf hin, dass er ihnen seine Dienste als Arzt anbot.5 Natürlich akzeptierten die Bauern sehr gern das Angebot, da im Kampf Tausende verwundet worden waren, die seine Unterstützung benötigten. Wir müssen uns daran erinnern, dass Paracelsus immer als eine professionelle Autorität angesehen wurde und große Erfahrungen auf Schlachtfeldern hatte. Es wäre jedoch übertrieben, zu denken, dass Paracelsus ein Führer des Bauernaufstandes von Salzburg gewesen wäre. Dennoch wissen wir, dass er wegen des Verdachts auf Anzettelung eines Aufstandes in Arrest genommen wurde. Zumindest betrachteten die Zivilbehörden seine Standpunkte als aufrührerisch.6 Wir hatten schon erwähnt, dass er in dieser österreichischen Stadt nicht gezögert hätte, öffentlich auf den am meisten gefüllten Plätzen die Massen anzusprechen, um soziale Gerechtigkeit zu fordern, und dass er sogar seine eigenen Schriften unter den Bürgern verteilte. Obwohl diese Schriften vermutlich von religiösem Charakter waren, zeigten sie wahrscheinlich seine Position bezüglich des sozialen Konflikts. Seine Festnahme stand zweifellos im Zusammenhang mit diesen öffentlichen Interventionen.
Mit dieser Verhaftung begab er sich in Lebensgefahr, da die Repressionen gegen Revolutionäre oder einfach gegen Verdächtige, die mit der Bewegung sympathisierten, sehr grausam waren.7 Niemand weiß genau, wie er es gemacht hat – es war ihm möglich, aus der Haft zu fliehen. Eilig entkam er dieser Gefangenschaft, wenn auch knapp, ging flussaufwärts das breite Tal der Donau hinauf. Er kehrte bis zu seinem Lebensende nicht nach Salzburg zurück. Sein Biograf Pagel sagte, er wäre mit viel Glück dem Tod durch Erhängen entkommen. Einige Quellen weisen darauf hin, dass seine Todesstrafe wegen seiner Position als Arzt umgewandelt wurde, aber deshalb, weil er während der Aufstände keine Waffen getragen hatte.9
Tatsächlich griff Paracelsus nicht direkt in die Aufstände ein. Er war ein Pazifist. Er verabscheute Krieg und Gewalt, die Todesstrafe und Meuchelmord und auch jede politische Macht, die solche Praktiken ausübte und förderte.10 So bedauerte er die Gewalt der Bauern im Krieg, die Anstößigkeiten ihrer Methoden, aber auch die Schlägereien in ihren Tavernen11 genauso wie die gewaltsame Unterdrückung der Aufstände durch die Obrigkeit, die die Todesstrafe für alle Führer des Aufstandes mit einschloss. Am Ende des Krieges verschlechterte sich die Situation der Bauern im Allgemeinen – außer in den Bergregionen der Schweiz. Sie mussten eine immer mehr unterdrückende Politik und unterdrückende Maßnahmen ertragen, was bewies, dass die Pazifisten Recht hatten, die wie Paracelsus oder der trinitarische Zweig der Anabaptisten, immer Fortschritt und soziale Reformen ohne Gewalt oder Kriege vertraten.
Gegen die Ungerechtigkeiten im kommerziellen pharmazeutischen Bereich
Obwohl der pazifistische soziale Reformismus nach Paracelsus nicht ausschließlich auf den ländlichen sozialen Bereich beschränkt war, gab es eine große Gelegenheit, ihn während der Monate, in denen Paracelsus als offizieller städtischer Arzt in Basel tätig war, anzuwenden. Während dieses Zeitabschnitts versuchte er, klar und deutlich zugunsten der Kranken und von Pharmazeuten und Medizinhändlern Ausgebeuteten zu handeln und versuchte zu zeigen, wie sogar im städtischen Bereich soziale Gerechtigkeit gelehrt werden könnte, auch wenn diese Lehre gegen mächtige Gruppierungen, wie z. B. die Pharmazeuten und sehr mächtige Firmen, die mit den Pharma-Produkten Handel betrieben, vorging. Kurz nachdem Paracelsus die Stelle als städtischer Arzt angenommen und gesehen hatte, dass es vielen Apotheken an grundlegenden Voraussetzungen mangelte, bat er den Stadtrat, darum zu fordern, dass diese Einrichtungen eine städtische Lizenz erwerben und sich Kontrollen unterziehen müssen. Er bat um die Erlaubnis, regelmäßig Apotheken inspizieren und untersuchen zu dürfen, um herauszufinden, ob die Bestandteile einer Arznei in Ordnung waren und auf diese Weise auch exzessive Preise, die Apotheker für ihre Waren fordern könnten, zu vermeiden.
Schon früher hatte Paracelsus beobachtet und angezeigt, wie sich Apotheker mit Ärzten zusammentaten, um Menschen mit exorbitanten Arzneimittelpreisen zu betrügen.12 Außerdem beklagte er die Anstellung unqualifizierter Personen und Kinder in den Geschäften und Apotheken und forderte, dass Apotheker eine Prüfung absolvieren müssen, bevor sie ihren Beruf ausüben dürfen. All das brachte natürlich die Pharmazeuten und die medizinische Gemeinschaft radikal gegen ihn auf.13 Die medizinische Schule reagierte auf diese Forderungen von Paracelsus, indem sie ihn als Lügner und Schwachkopf bezeichnete.14 Unglücklicherweise ließ ihm diese Gegnerschaft wenig Zeit – wie auch schon im Kapitel über seine Tätigkeit als Arzt in Basel gesehen, wo er der Stadt verwiesen wurde -, um all seine vorgeschlagenen Maßnahmen zur Verhinderung medizinischen und pharmazeutischen Missbrauchs durchzusetzen.
Dennoch verlor er nicht den Mut bei seinem Versuch, das Recht in diesen Bereich einziehen zu lassen, obwohl er dadurch in einen weiteren wichtigen Konflikt mit den Pharmazeuten und den medizinischen Handel Treibenden geriet. In Nürnberg veröffentlichte er zwischen 1529 und 1530, ein Jahr nach seiner Flucht aus Basel, zunächst eine kurze Abhandlung, die seine Ideen über die Heilung von Syphilis zusammenfasste, und später eine umfangreiche Arbeit mit dem Titel „Essay über die Französische Krankheit“ (womit die Syphilis gemeint ist) mit dem Untertitel „Über Betrüger“, worin er insbesondere die Händler, aber auch die kirchliche Hierarchie kritisierte, die jene unterstützte. Diese Händler benutzten die syphilitischen Patienten, indem sie ihnen versprachen, sie mit einem Mittel, das aus einer Flüssigkeit oder einem Öl aus Guajakharz hergestellt wurde, zu behandeln.15 Syphilis ist eine Infektionskrankheit, die durch sexuelle Kontakte übertragen wird. In jenen Zeiten war diese Krankheit zu einer Pandemie ausgewachsen. Der hohe Preis, den man für Guajakharz verlangen konnte, eröffnete einen profitablen Markt, den viele große Händler, wie die Fugger, ausbeuteten. Diese Familie hielt ein Monopol auf den Verkauf dieses Holzes, das sie aus Südamerika importierten. Das Unternehmen der Fugger war zum mächtigsten Unternehmen in der Welt geworden.16 In einer kurzen Abhandlung mit dem Titel „Über das Guajak-Holz“ behauptete Paracelsus, dass dies ein Mittel schlechter Heiler wäre und stellte alternativ dazu medizinische Durchbrüche zur Heilung der Syphilis vor. Diese Behauptungen brachten ihn in eine radikale Gegenposition zu den Händlern der Fugger und auch gegen deren Verbündete im medizinischen und pharmazeutischen Bereich.17
Deren Reaktion ließ nicht auf sich warten. Zunächst verboten sie Paracelsus weitere Veröffentlichungen in Nürnberg. Er hatte schon die Fortsetzung seines Essays über die Französische Krankheit geplant, aber der städtische Zensor, der auch von den herausragenden Vertretern der städtischen Medizinschule beeinflusst worden war, verhinderte seine Veröffentlichung. Die Unterstützung, die er erhalten hatte, war nutzlos.18 Der Druck seiner geplanten acht Bücher über die Französische Krankheit wurde mit einem Dekret verboten. Das Dekret basierte auf der Meinung des Dekans der Medizinschule Leipzig, der an den Geschäften mit dem Guajak-Holz interessiert und ein Freund der Fugger war.19 Auch die Briefe, die Paracelsus an den Stadtrat von Nürnberg geschickt hatte, führten zu nichts. Darin bat er um die Erlaubnis, seine Bücher über Syphilis zum Besten der Menschen und für die Wahrheit veröffentlichen zu dürfen. Und vor einem Verbot der Bücher bat er um die Erlaubnis, sie mit Experten dieses Themas zu diskutieren. Er erhielt keine Antwort. Schließlich setzte er sich über die Zensoren hinweg und veröffentlichte eines der verbotenen Bücher, woraufhin er aus Nürnberg fliehen musste, um seine Verhaftung zu vermeiden.20 Paracelsus wollte klarstellen, dass die Flüssigkeit aus Guajak-Holz für die Behandlung dieser Krankheit nicht zu empfehlen war, wie auch der im Allgemeinen falsche Einsatz von Quecksilber. Er wollte lehren, wie man eine Quecksilbervergiftung vermeiden kann und den heilenden Nutzen von Quecksilber zeigen, indem man die toxische Wirkung des Metalls durch eine sehr sorgfältige Dosierung und die Anwendung weniger toxischer Präparate21 vermeidet. Ein weiteres Mal war die Opposition mächtiger Leute größer als sein Mut, was ihn schließlich verstummen ließ. Sie verboten die Veröffentlichung seiner Abhandlungen und ließen seine Meinung über kommerzielle Interessen von mächtigen Unternehmen und Pharmazeuten nicht mehr zu.
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