Die Gabe und die Prüfung der Zwillinge
Die Kunst, Dinge geschehen zu lassen
Die Zwillinge sind ein intellektuelles Zeichen. Erfüllt von lebhaftem Eifer und heller Neugier möchte dieser Typus am liebsten alles wissen. Aus seiner Sicht gibt es nichts, was nicht erkannt, und kein Geheimnis, das nicht gelüftet werden kann. Er versucht sich die unzähligen Einzelheiten zu erklären und wie Flicken zu einem großen Teppich zu verketten. Daraus bildet er dann seine Meinung, die er durch belastbare, in sich geschlossene Argumentationsketten gegen andere Meinungen zu verteidigen vermag. Alles klingt schlüssig, plausibel und erscheint vollends bewusst gemacht.
Dieses bunte Wissen verwendet er auch zu seinem Vorteil. Er findet die besten Schnäppchen, kennt die meisten Tricks und sieht Gelegenheiten, wo andere nicht mehr weiter wissen. Wendig im Umgang und geschickt in der Kommunikation findet er überall einen gangbaren Weg. Jede sich bietende Möglichkeit wird in Windeseile durchdacht. Vorausschauend setzt er seine Schritte, um nicht aus Versehen in Übel hinein zu tappen. Dadurch meint er, es mit dem Schicksal aufnehmen, ja es sogar umgehen zu können. Doch da irrt er sich gewaltig.
„Du kannst Deinem Schicksal nicht entfliehen“ lautet ein Spruch in der Eingangshalle des Tempels zu Delphi. Das Schicksal führt einen Zwilling in Begegnungen, die seinen Weg fördern und ihn zu etwas führen, das er lieben wird. Mal sind diese Begegnungen angenehm, mal sind sie unangenehm. Im letzten Fall hadert er dabei mit seinem Schicksal: „Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich mich nicht darauf eingelassen.“ Er glaubt dann weiterhin, kraft seiner Intelligenz künftig solche Erfahrungen vermeiden zu können. Der Göttliche Geist will ihn von diesem Irrglauben erlösen und schenkt ihm dazu die Gabe der Zwillinge: die Kunst, Dinge geschehen zu lassen.
Dieses Geschenk befreit ihn von Misstrauen und schenkt ihm Vertrauen in eine höhere, wirkende Kraft, die sein Leben und das der anderen lenkt. Er wird offen für die Wunder des Lebens und die Weisheit des Geistes. Solange er seinem Schicksal zu entfliehen versucht, erhält er keinen Einlass zum Tempel der Weisheit. Er muss zwischen den beiden Eingangssäulen stehen bleiben. Die beiden Säulen symbolisieren die senkrechten Linien des Zwillingszeichens. Sie stehen für die Welt der Dualität, die Welt der Gegensätze: Liebe und Hass, schön und hässlich, gut und böse. Der Zwilling kennt sie nur zu gut.
Wie viele gegensätzliche Meinungen hat er schon gehört, wie viele Standpunkte kennengelernt, wie viel Buchwissen in sich hineingestopft? Sein Kopf ist voll davon. Für den Göttlichen Geist ist dort kein Platz mehr. Wahre Neugier kennt keine Vorurteile und legt alles Wissen beiseite, um das Neue als wirklich neu erfahren zu können. Es ist die Unvoreingenommenheit der Zwillinge, die ihm den Zugang zur Weisheit ermöglicht. Er steht zwischen den Säulen der Gegensätze, orientiert sich aber an keiner davon. Vielmehr lässt er die Dinge unbewertet geschehen und wählt so den goldenen Mittelweg. Dieser führt ihn geradewegs in den Tempel der Weisheit, ins Reich der Intuition. Geist ist Fülle. Er füllt die Leere. In einen leeren und offenen Kopf fließen völlig neue Gedanken voller Leichtigkeit und Weite. All sein Vorwissen ist lediglich ein Abglanz dieser neuen Gedanken. Er kann das Leben geschehen lassen.
Frei von Vorurteilen begegnet er anderen auf Augenhöhe. Jede solche Begegnung ist ein Ereignis, das seine ganz eigene Bedeutung hat. Locker und offen wie er ist, fällt ihm genau die Information ein, die der andere in diesem Augenblick braucht. So wird er zum Götterboten, zum Übermittler des Göttlichen Geistes. Er selbst wird durch den Geist der Begegnung geführt.
Die Prüfung des Denkens
Ein Zwillings-Typus ist vielseitig interessiert. Er beobachtet, geht in Kontakt, tauscht sich aus, fragt nach und informiert sich auf jede nur erdenkliche Weise. Sein Kopf gleicht einem Informationssammelbecken. Alles, was dort einfließt, wird gespeichert, um es eines Tages verwenden zu können. Auf diese Weise folgt er einem wesentlichen Grundbedürfnis: Er will sich die Welt erklären, begreifen, was ihm da begegnet, es verstehen, um intelligent damit umgehen zu können. Die dazu nötige und ihm auch mitgegebene Fähigkeit ist das Denken.
Denken verwandelt die äußere Natur in eine innere. Einer Pflanze sieht man nicht gleich an, was in ihr abläuft. Erst Beobachtungen, Denken und Versuche offenbaren einem ihre inneren Mechanismen. Sobald diese anhand eines Modells erklärt sind, weiß man, wie sich Dinge weiter entwickeln. Die äußere Natur wird dadurch zu einem bestimmten Grad vorhersagbar. Sie begegnet einem dann nicht mehr blind und läuft nur vor den Augen ab, sondern wird von innen her begriffen. Das Licht der Erkenntnis durchdringt sie, macht sie handhabbar und einen selbst sehend. Allerdings prüft die Natur, ob das, was sich der Mensch denkt, auch wirklich stimmt. Die Fähigkeit dazu hätte er.
Die Gedanken des Zwillings gründen auf den Informationen, die er hat. Was ihm dabei fehlt, kann er nicht berücksichtigen. Das weiß er natürlich. Dennoch erscheinen ihm seine Gedankenmodelle oft derart schlüssig, dass er widersprüchlichen Informationen gegenüber nicht mehr genügend aufgeschlossen bleibt. Dann will er Recht haben. Argumentativ untermauert er seine Meinung und zerlegt im Gegenzug intellektuell die der anderen.
Für die innere Natur ist es völlig uninteressant, ob etwas innerhalb eines Modells logisch richtig ist. Sie strebt nach Erkenntniswachstum. Voraussetzung dafür ist das immer währende Offenbleiben gegenüber allem, was einem begegnet, also Neugier im ursprünglichen Sinn. Jeder Versuch, Erkenntnis einzufrieren oder dogmatisch daran festzuhalten, engt die innere Natur ein. Alles Intellektuelle kann nur als mentale Sprosse betrachtet werden, die man eines Tages hinter sich lässt, um den nächsten Schritt der Erkenntnis zu setzen. Intelligenz kann nie ganz ankommen, weil sie sonst nicht mehr weiter wachsen könnte. Sie bleibt stets dazwischen, durchdringt, weitet sich aus und geht völlig unvoreingenommen in die nächste Begegnung.
Eine klassische Falle des Denkens ist die Neigung, zu sehr zu kalkulieren, Vorteile zu erstreben und ungünstigen Umständen aus dem Weg zu gehen. Vorausdenken-Können befreit einen nicht davon, bestimmte Erfahrungen zu machen. Die innere Natur steht mit der äußeren in Resonanz und zieht entsprechende Erfahrungen an. Der Wert solcher Erfahrungen liegt in deren Information. Man gewinnt diese Information durch Einsicht in die äußere Form, die einem begegnet. Die Prüfung der Natur besteht dabei vor allem im offenen Geschehen lassen. Andernfalls schickt einem die äußere Natur die von der inneren Natur gewünschte Einsicht in immer neuen Formen. Sie drückt sie einem als Schicksal aufs Auge -bis man endlich hinschaut, Einsicht nimmt und wirklich versteht.
Denken dient der Bewusstmachung. Dadurch entfaltet sich die innere Natur des Zwillinge-Geborenen. Bewusst zu sein bedeutet aber noch mehr, nämlich Dinge unmittelbar zu erfahren. Es ist nicht nötig, mühsam alle Informationen über ein Thema zu sammeln, zu ergründen und deren Essenz zu extrahieren. Durch Intuition kommt man direkt an essentielle Informationen heran. So gesehen ist dies die höhere Form des Denkens.
Intuition ist der Sinn für das Innere. Was einen unmittelbar und ohne eigenes Wollen anspricht, spricht das eigene Innere an. Plötzlich fällt einem dann unerwartet etwas ein oder in einem Berg von Informationen etwas Entscheidendes auf. Voraussetzung dafür ist, nicht äußerlich zu suchen, sondern innerlich leer zu sein und sich die Dinge finden zu lassen. Intuition kann man nicht erzwingen. Man kann sie aber durch Unvoreingenommenheit fördern, indem man einen Raum in sich schafft, in den einfließen darf, was will. Verrückt, aber es funktioniert! Das Leben wird dadurch unendlich viel leichter. Leichtigkeit ist die wahre Natur der Zwillinge. Sie führt durch alle Schwierigkeiten hindurch und lässt einen Zwilling stets einen Ausweg finden.
Die Synthese von Gabe und Prüfung
Schau dir unvoreingenommen alles an, was dich interessiert und tausche dich offen aus. Denke darüber nach, denn Denken ist mit deine stärkste Kraft. Erkenne, was dir Menschen und Erlebnisse wirklich sagen wollen. So nimmst du Einsicht in das Innere. Du kannst deinem Schicksal nicht entfliehen. Lass alles mit innerer Leichtigkeit geschehen, dann können dich die Wunder des Lebens überraschen.
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