Ein wahrhaft großer Reformer des 16. Jahrhunderts in den Bereichen Medizin, Gesellschaft und Religion
3.3. Ein großer sozialer Reformer
Der Einsatz von Paracelsus für Bergarbeiter und Frauen
Trotz alledem verlor Paracelsus nicht seinen Mut und fuhr damit fort, all die Ungerechtigkeiten, die er überall, wo er hinging, sah anzuprangern, ungeachtet der Konsequenzen, die sein Handeln für ihn selbst haben könnte. Als er zwischen 1533 und 1534 durch das Inn-Tal lief und sich in der Nähe der Tiroler Abbaufelder von Hall und Schwaz befand, konnte er aus erster Hand die sehr harten Arbeitsbedingungen der Bergarbeiter beobachten. In jenen Tiroler Minen erkannte er, wie unglaublich hart und gefährlich die Arbeit der Bergarbeiter war, den Dreck, in dem sie arbeiteten und lebten, die ungesunde Luft, die sie einatmeten und die ständige Gefahr, Krankheiten zu begegnen und Unfälle zu erleiden, besonders durch den Einsturz von Bergbauminen. All das kam noch zu den sehr langen Arbeitstagen, niedrigen Löhnen und hohen Lebensmittelpreisen, die von denselben Firmen festgesetzt wurden, die die Minen ausplünderten. Deshalb gab es ungefähr zur selben Zeit, als die deutschen Bauern revoltierten, in diesen Tiroler Minen Streiks und Unruhen.1
Als Paracelsus die Minen besuchte, versuchte er, den Familien der Bergarbeiter, die seine Hilfe am nötigsten hatten, zu helfen. Insbesondere war er bemüht, jenen zu helfen, die an den für Bergarbeiter typischen Krankheiten litten, die hauptsächlich durch die schmutzige Luft, die sie einatmeten, und die Toxizität der extrahierten Metalle, besonders des Quecksilbers, entstanden waren. Mithilfe der Erfahrungen, die er als Arzt in diesem Tiroler Bezirk sammelte, begann er, an seinem ersten Handbuch für Berufskrankheiten zu arbeiten, das er mit dem Titel „Über die Krankheiten von Bergarbeitern und andere Krankheiten durch den Bergbau“ versah. Es war die erste anerkannte und systematisierte Abhandlung in der medizinischen Literatur über Krankheiten, die durch die Arbeit entstanden.2
Das war sein großer Beitrag für die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen dieser Arbeitsgruppe, die im 16. Jahrhundert so schwer gestraft wurde. Es gab weitere soziale Gruppen, die zu jener Zeit besonders unterdrückt und Gegenstand der Aufmerksamkeit von Paracelsus wurden. So rückten Frauen, die zu diesem Zeitpunkt sehr erniedrigt wurden, und die Armen im Allgemeinen in den Mittelpunkt seiner medizinischen Aufmerksamkeit und Studien. Paracelsus war auch der Erste, der über typische Krankheiten von Frauen schrieb. Das tat er im vierten Buch, im Opus Paramirum. Er sah Frauen niemals als minderwertige Menschen, so wie das sonst fast jeder in jener Zeit tat. Ihm zufolge hat jedes Geschlecht seine Schwächen und Tugenden. Somit konnten Frauen in einigen Bereichen überlegen sein.3 Deshalb sahen einige Paracelsus als einen frühen Kämpfer für die Rechte von Frauen. Er vertraute Frauen. Und jene, die Paracelsus als frauenfeindlich sahen, weil er nie heiratete, auch keine sexuellen Beziehungen während seines gesamten Lebens unterhielt und Keuschheit sogar verteidigte, haben ihn falsch verstanden. Er selbst erklärte, wie wir früher schon gesehen haben, dass Keuschheit zu einer der guten Qualitäten eines Arztes gehören sollte. Er sagte: „Die Keuschheit stattet einen Mann mit einem reinen Herzen aus und schenkt ihm die Kraft für das Studium der göttlichen Dinge. Gott selbst lädt uns dazu ein. Er gab dem Menschen die Keuschheit. Aber jene, die nicht in der Lage sind, ihre eigenen Meister zu sein, sollten besser nicht allein leben.“4 Diese Verteidigung der Keuschheit wurde auch von vielen kritisiert. Einige gaben sogar an, er sei ein Eunuch gewesen, der von einem Soldaten als Jugendlicher kastriert worden sei.5 Dennoch schenkte er solch unsinnigen Gerüchten, die über ihn und insbesondere seine Keuschheit verbreitet worden waren, keinerlei Aufmerksamkeit.6 Er zog es vor, sich auf seine Arbeit als Arzt zu konzentrieren und die Schwachen und Armen zu beschützen.
Seine Arbeit für die Armen und eine kritische Analyse des neuen kapitalistischen ökonomischen Systems
Er half den Armen – den Bauern, Bergarbeitern und den Arbeitern eines jeden anderen Berufszweiges bei jeder sich ihm bietenden Gelegenheit mit dem Wenigen, das er hatte. Er reiste durch alle Regionen, wie z. B. durch das Schweizer Appenzell. Er nahm sich Zeit und half den armen Kommunen7.
Er unterstützte sogar einige seiner bedürftigen Studenten mit Essen und Kleidung, als er Professor in Basel war8. Es gibt viele Zeugnisse für seine ehrenamtliche Arbeit, die von einem großen Sinn für soziale Gerechtigkeit angetrieben wurde. Sein Biograph Pagel sagt, dass er von dem Unglück der Armen und Sklaven leidenschaftlich angetrieben wurde9. Niemals stellte er den Armen etwas in Rechnung für seine medizinischen Dienste, auch wenn es viele Ärzte ärgerte10. Er bevorzugte es, den Bedürftigen Almosen zu geben, anstatt ihnen Rechnungen zu schreiben.11 Sogar auf dem Sterbebett dachte er an die Bedürftigen und wollte sein gesamtes Hab und Gut all jenen vermachen, die er wortwörtlich als „arme, unglückliche und bedürftige Menschen und jene, die weder Geld noch irgendeine Versorgung haben“, bezeichnete. Nur seine Bücher, medizinische Ausstattung und Medikamente gab er einem Arzt mit dem Namen Andree Wendl in Salzburg. Er bat auch darum, im Haus für Almosen des Heiligen Sebastian begraben zu werden und dass ein Pfennig jedem Armen gegeben werden sollte, der sich während des Gesangs des ersten, siebten und dreizehnten Psalms vor der Kirche versammelte.12 Wie wir früher schon erwähnten, können wir an seinem Grabstein heute lesen, dass Paracelsus „jemand war, der sich selbst auszeichnete, indem er all seine Besitztümer unter den Armen verteilte.“
Eigentlich konnte er mit seinem Testament nicht viel vermachen. Das einzige Eigentum, das er während seines gesamten Lebens erhalten hatte, war ein bescheidenes Grundstück, das sein Vater ihm überlassen hatte, bevor er im Jahre 1538 starb.13 Es ist nicht einmal klar, ob er dieses Eigentum bis zu seinem Tode sein eigen nennen konnte. Wie auch immer – er erfreute sich seiner nicht und zog auch keinen Nutzen daraus. Sein Schüler Oporinus erklärte, dass Paracelsus sich niemals Gedanken darüber machte, in den Besitz von Reichtümern zu gelangen.14
Lasst uns des Satzes erinnern, den er bezüglich Geld und Glück sprach: „Glück ist besser als alle Reichtümer, und glücklich ist derjenige, der umherwandert und nichts besitzt, das seiner Fürsorge bedarf.“15 Offensichtlich bezog er sich auf sich selbst. Immer lebte er in ziemlicher Armut. 1524, mitten im sozialen Bauernkampf, der eigentlich ein Kampf zwischen Arm und Reich war, wollte er seine Haltung zu weltlichen Reichtümern klar ausdrücken. Paracelsus vertrat die Auffassung, dass sie zu nichts Gutem führen und die Suche nach innerem Frieden vorzuziehen wäre: „Gesegnet und mehr als gesegnet ist der Mensch, dem Gott die Gnade der Armut erweist. Werde arm, so arm wie ein Bettler, dann wird der Papst dich verlassen, und der Kaiser wird dich verlassen, aber dann wirst du Frieden haben, und deine Narrheit wird in den Augen Gottes Weisheit sein.“16
Somit war es für Paracelsus sinnlos, offen die Mächtigen und hauptsächlichen Einrichtungen der Gesellschaft anzugreifen, auch wenn sie korrupt und ungerecht waren. Im Gegenteil – er glaubte, dass Fortschritt und soziale Reformen allmählich erreicht werden könnten, wenn die Autorität des Staates und der Kirche akzeptiert und anerkannt würden, und durch die Anerkennung des Privateigentums, einschließlich des Privateigentums von Land17, auch wenn Paracelsus diesen Einrichtungen gegenüber sehr kritisch eingestellt war. Er glaubte, dass der erste Schritt für eine Reformierung solcher Einrichtungen darin bestand, sie zu akzeptieren. Er verteidigte eine Art „Kommunismus“ oder Christliches Gemeinschaftsleben, wie im mittelalterlichen Modell vorgeschlagen, in dem Einzelne und Familien die Einheiten der Gesellschaft bildeten und ihre sozialen Positionen, und damit ihre soziale hierarchische Organisation, respektierten.18 Zumindest sollte es den Armen in solch einer Situation erlaubt sein, Fisch zu angeln und in den gemeinschaftlichen Ländereien zu jagen, und die Bauern sollten keine Steuern auferlegt bekommen, die sie zum Hungern zwangen. In diesem so genannten goldenen Zeitabschnitt des Mittelalters erkannten die Menschen, dass sie in der Gemeinschaft eine Rolle spielen mussten – jeder nach seinen Fähigkeiten – und so, dass die Gesellschaft durch die Zusammenarbeit zwischen den Fürsten und Bauern entstehen konnte. Paracelsus sagte: „Gott hat uns auf der Erde Geschenke und Tugenden gegeben, die jeder für den Dienst an anderen nutzen könnte und sollte, und nicht für sich selbst.“19
Er hob all jene Ideen in seiner Arbeit De Ordine Doni (Über die Ordnung von Gaben) hervor, in der er eine glückliche Gesellschaftsordnung zeichnete, in der die Armen nicht unterdrückt wurden und die Reichen die Armen nicht ausbeuteten, in der die Regionen mit schlechten Ernten Hilfe von Regionen mit guten Ernten erhielten und wo die Rolle der Autoritäten äußerst wichtig für die Erhaltung der sozialen Ordnung ist.20
Bedauerlicherweise jedoch hatte die neue ökonomische und soziale Ordnung, die in der Dämmerung der neuen historischen Ära der Renaissance aufkam, die unter dem Begriff
„Kommerzieller Kapitalismus“ bekannt werden würde, nichts mit der glücklichen Gesellschaftsordnung von Paracelsus zu tun. Er mochte weder diesen aufkommenden Kapitalismus, noch die geizigen Händler und Banker, die sich in diesem System auf Kosten der Armen bereicherten, um sich selbst in Sicherheit zu bringen. Daher kommt seine sehr strikte Position gegen den Missbrauch von Bauern und Bergarbeitern durch die Eigentümer von Land und Bergminen und gegen die unseriösen Geschäfte unter Ärzten, Pharmazeuten und Händlern, um die Menschen zu betrügen. Jene, gegen die seine direkte und scharfe soziale Kritik gerichtet war, waren diejenigen, die Geschäfte machten, indem sie demütige Menschen missbrauchten – seien es Grundstückseigentümer, Apotheker, Ärzte, Banker oder Händler – nicht so sehr die Fürsten und Prinzen. Er pflegte zu sagen, dass das Leihen von Geld und darauf Zinsen zu erheben die Gemeinschaft zerstören und Inflation hervorrufen würde und die Arbeit des Teufels sei. In dieselbe Kritik schloss er Geschäftsleute ein, die durch Lügen, Betrug und Täuschung, Ausbeutung oder unfaire Jobs reich wurden.21 Deshalb schlug er vor, in der Wirtschaft ohne Geld auszukommen. Er sah, dass das Geld Sorgen und Kriminalität hervorrief und sagte, dass überall dort, wo das Geld das Hauptziel wäre, würde es Neid, Hass, Stolz und Arroganz geben.22 Paracelsus lebte all diese sozialen und ökonomischen Ideen in seinem eigenen Leben vor, auch wenn das bedeutete, unter einem harten ökonomischen Mangel und in ernster sozialer Unsicherheit zu leben.
Leben und Sterben in Armut
Paracelsus lehnte es ab, nach einer stabilen und komfortablen sozialen und ökonomischen Position zu suchen, wie es für ihn als guter Arzt und Alchemist naheliegend gewesen wäre. Es gibt einige, wie sein Schüler Franz von Meissen, die sogar bestätigten, dass Paracelsus, wenn er in Geldnot war, Gold herstellte, indem er sein alchemistisches Wissen nutzte.23 Trotzdem akzeptierte er freiwillig ein Leben ohne jeden Komfort oder Luxus und ohne ökonomische Stabilität und lebte lieber immer wie ein Armer oder Obdachloser und hungerte oft. Wie wir schon früher erwähnten, war schon seine Herkunft bescheiden und er war stolz darauf. Bei einer Gelegenheit sagte er: „Ich preise Gott dafür, dass ich in meiner Jugend arm war und hungern musste.“24
Nur während kurzer Zeitperioden, wie in der Zeit, als er 1527 als Professor in Basel arbeitete, oder als er 1537 in Bratislava lebte, konnte er sich einer komfortablen Stabilität in ökonomischer und sozialer Hinsicht erfreuen. In Bratislava konnte er sich auf die Unterstützung und die Anerkennung des österreichischen Erzherzogs Ferdinand verlassen, der ihm zwei Anhörungen verschaffte, ihn mit einer goldenen Kette für seine medizinischen Dienste auszeichnete und ihm sogar das Angebot machte, Mitglied des medizinischen Teams am Hof zu werden.25 Vor seiner Ankunft in dieser Stadt war er Ehrengast eines feierlichen Essens.26 Jedoch war der Ehrungen bald ein Ende. Eine Reihe heftiger Auseinandersetzungen mit dem österreichischen Fiskus trennte Paracelsus dauerhaft von den mächtigen Führenden, und er kehrte zurück zu seinen Lebensbedingungen als demütiger und armer Arzt, der verfolgt wurde. All das geschah wegen seines Mutes, die 100 Gulden vom König zu fordern, die dieser für den Druck eines Buches über durch Weinsäure hervorgerufene Krankheiten angeboten hatte. Dieses Geld bekam er nie. Die Autoritäten des österreichischen Fiskus reagierten, indem sie behaupteten, Paracelsus sei nicht besser als ein unverschämter Seiltänzer.27
Drei Jahre später starb er in Salzburg im Jahre 1541 ohne jede offizielle Anerkennung und als ein armer Arzt. Einige glauben, dass sein Tod mit einem gewalttätigen betrügerischen Angriff geldgieriger Ärzte zusammenhing, die ihm feindlich gesonnen waren. Wegen dieses Angriffs brach er sich seinen Schädel und starb ein paar Tage später.28 Wie auch immer – er starb arm in einem Gasthaus im Schatten des Stadtschlosses, das Bauern 16 Jahre lang in seiner Anwesenheit und mithilfe seiner Forderungen belagert hatten. Somit verbrachte Paracelsus die letzten Tage in seinem Leben damit, über die Bauern und, wie schon früher erwähnt, über Möglichkeiten, den Armen zu helfen, nachzudenken – so wie er es immer getan hatte. Deshalb wollte er auf dem Friedhof für die Armen begraben werden, was auch so getan wurde, obwohl der Fürst und Erzbischof Ernst von Wittelsbach, der ihn so sehr verehrte, ihn mit einer feierlichen Bestattung beschenkte und die Kirche drängte zu erlauben, dass sein Körper in „heiligem Land“ begraben wird.29
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