Vata Dosha
Wie das durch Raum- und Luftelement bestimmte sensible Vata Dosha mit dem Traumpaar Ayurveda und Yoga ins Gleichgewicht tanzt und elegant seine Balance halten kann.
Um zu verstehen, warum und wie der Ayurveda und der Yoga sich wunderbar ergänzen, braucht es ein wenig philosophisches Hintergrundwissen. So wird verständlich, auf welche Weise eine konstitutionell abgestimmte Yogapraxis die Ayurveda-Therapie nachhaltig unterstützt. Das, was uns aus- und was uns wieder in die Balance bringt-, hat nicht nur mit den persönlichen Lebensumständen, sondern auch mit unserer Grundkonstitution zu tun. Wie der Ayurveda baut der klassische Yoga auf der Philosophie des Samkhya auf. Dieses Schöpfungsmodell geht davon aus, dass die ganze sichtbare Welt aus zwei ursprünglichen Prinzipien entstanden ist. Zum einen aus dem weiblichen Prinzip, der Urmaterie Prakriti. Zu Beginn noch unmanifestiert, ruhen in ihr drei Kräfte, die Mahagunas, die auch als Triebe, Tendenzen, Qualitäten oder Einflussfaktoren verstanden werden: das lichtvolle Sattva, das bewegende Rajas und das manifestierende Tamas.
Begleitet wird Prakriti von Purusha. Purusha, das reine klare Bewusstsein, kann auch als das männliche Prinzip verstanden werden. Durch die Nähe des Purusha geriet die ruhende Prakriti aus dem Gleichgewicht und fing an zu tanzen. Die drei Kräfte begannen gegenseitig in Verbindung zu treten und weitere Prinzipien entstanden: das Erkennungsvermögen Buddhi, das individuelle Identifikationsvermögen Ahamkara und das Denkvermögen Citta oder Manas. Es entstanden weiter die Mahabhutas, die Elemente, Raum, Luft, Feuer, Wasser und Erde. Den Elementen als Bausteine der Natur werden Eigenschaften zugeordnet, die wir wahrnehmen können und die im gesamten Kosmos, in allem körperlichen und außerkörperlichen Sein, wirken. Die Elemente stehen für eines der fundamentalen Konzepte der ayurvedischen Wissenschaft. Sie verbinden sich jeweils zu einem der drei Bioenergien, den Doshas: Der Raum oder Äther verbindet sich mit dem Element Luft zum Vata-Dosha, Feuer und ein minimaler Anteil an Wasser verbinden sich zum Pitta-Dosha, Wasser und Erde verbinden sich zum Kapha-Dosha.
Aus ayurvedischer Sicht sind die Doshas für die mentale und physische Beschaffenheit der individuellen Konstitution und für alle positiven und negativen Veränderungen im Körper verantwortlich. Ihre unterschiedlichen Kombinationen und Gewichtungen bestimmen die Einzigartigkeit jeder Konstitution. Die Prinzipien von Vata, Pitta und Kapha wirken in jeder Zelle, jedem Organ und jedem Gewebe. Ihre körperliche und geistige Balance ist maßgebend für den individuellen Gesundheitszustand.
Vata-Einfluss
Eigenschaften allgemein: leicht, klar, trocken, kalt, rau, schnell, beweglich, veränderlich, allesdurchdringend und fein
Körper: Magerkeit, meist sehr große oder kleine Menschen mit zierlichen Gelenken, Motto: Ich hab eine Idee!
Berufe: Thinktank-Mitarbeiter, Künstler, Journalist, Werbetexter, Erfinder, Reiseleiter, Therapeut, Psychologe,
Funktion: Impulsgeber, Vermittler, Springer, Allrounder
Fähigkeiten im Wahrnehmungsfeld: ist offen für Neues, nimmt subtile Zeichen wahr, kann sich inspirieren lassen, intuitive Wahrnehmung, schaut zwischen die Zeilen und erkennt die Zusammenhänge, rege, sehr flink, schnelle Auffassungsgabe
Fähigkeiten im Handlungsfeld: kreativ, voller Ideen, kann sich blitzartig anpassen, ist unverbindlich, bringt neue Ideen, hat Phantasie, nimmt die Zwischentöne wahr, kann gut vernetzen, spricht und bewegt sich schnell
Hindernisse: chaotische Vorgehensweise, wenig Struktur, wechselhaftes Naturell, neigt zu Nervosität und Reizbarkeit, wenig Ausdauer, friert leicht, auch nach dem Essen, neigt zu Allergien, trockene Haut, Gelenkschmerzen, Empfindlichkeit der Verdauungsorgane, besonders bei Stress und seelischen Belastungen
Anzeichen für Disbalance: Konzentrations-, Schlaf-, Sprach-, Verdauungsstörungen (Verstopfung), schmerzhafte Zustände, vor allem wandernde Schmerzen, die das Wohlbefinden beeinträchtigen, Störungen beim Hören (Tinnitus), dem Appetit, der Nahrungsaufnahme, Prägungen im Erscheinungsbild, wie Gewichtsverlust, trockene Haut, spröde Haare und Nägel, knackende Gelenke, blasser Teint und unruhiger Blick, Beeinträchtigungen wie Angst, Panikattacken und fehlende Lebensperspektiven, welche die Lebensqualität stark beeinträchtigen
Ausgleich/Prävention: PITTA-Interventionen, die Klarheit fördern, und die KAPHA-Kraft, die strukturierend wirkt, erdet und Vertrauen gibt (Bodenhaftung), fettige, ölige Nahrung, Wurzelgemüse, deren Verdaulichkeit durch verdauungsstärkende Gewürze unterstützt wird, Feuchtigkeit (feuchte Nahrung, feuchtwarmes Klima, Ölmassagen), Wärme (warme Speisen und Getränke, feine, wärmende Gewebe für die Kleidung und warmes Klima), Ruhe (in Ruhe essen, Meditation und Natur), Langsamkeit (Hektik vermeiden, langsam essen), Massenveranstaltungen meiden, Entspannungstechniken, Regelmäßigkeit im Alltag und vor allem beim Essen, eine konstitutionell angepasste Yoga-Praxis und sattvische Lebensführung. Standorte, die DOSHA verstärken: windige Bergspitzen, ständiger Ortswechsel, unruhige Lebenssituationen
Wahrnehmung über: Den Klang: Musik, Stimmmodulation, Sprachwahl. Das Raumklima: sensibel auf Durchzug und Temperaturschwankungen. Die Intuition: sensitive Wahrnehmung wie «es liegt was in der Luft». Die Sinnlichkeit: mit den Händen etwas fühlen lassen, sinnliche Wahrnehmung
Handlung über: Kreativität, Fantasie, Sprache: Geschichten erzählen in Wort und Bild
Wenn Vata dominiert
Menschen, welche die typischen Eigenschaften des unsteten Wind- und des grenzenlosen Raumelementes besonders ausgeprägt in sich tragen, tanzen leichtfüßig durch den Tag. Manche Eltern hatten mit diesen Wirbelwinden bestimmt alle Hände voll zu tun, als sie durchs Haus fegten. Vielleicht haben sie sich oft in Fantasiewelten geträumt, sind heute noch voller Ideen, und wenn du sie etwas fragst, sprudelt es aus ihnen heraus. Sie hören das Gras wachsen und nehmen neue Strömungen früher wahr als alle anderen. Sie reisen gerne und lieben die Abwechslung – würde man sie zu eintöniger Archivarbeit verdonnern, wäre dies eine Strafe. Diese kreativen, sensiblen Wesen lassen sich von allem möglichen inspirieren und nur zu gern verleiten, das Alte zu verlassen und sich Neuem zuzuwenden. Loslassen ist nicht ihr Problem, denn dafür müsste man erst einmal festhalten können.
Die Bioenergie Vata entspricht dem raumgebenden, luftigen Prinzip. Sie steuert alle Formen der Bewegung der geistigen und physischen Welt. Als subtile Energie ist sie verantwortlich für die Direktion der biologischen Abläufe, sowohl für die Regulation der mentalen als auch der physischen Prozesse: Jede Bewegung, die im Körper stattfindet, wird von Vata gesteuert, sei es der Herzschlag, der Kreislauf, die Atmung, die Sprache, das Augenblinzeln, die Verdauung, Ausscheidung, Atmung, die Menstruation und die Impulse der Nerven. Durch seine enge Verbindung mit dem vegetativen Nervensystem reagiert das Vata-Dosha sehr schnell und am sensibelsten auf positive und negative Veränderungen aller Lebensumstände. Aus diesem Grund wird es auch das Königs-Dosha genannt, da die Regulation des Nervensystems im ayurvedischen Medizinsystem und im Yoga die Basis für die Einleitung des Heilungsprozesses gestaltet.
«Vata-Menschen sind voller Ideen.»
Je harmonischer sich die Bioenergie Vata entfaltet, desto vitaler fließt die Lebensenergie Prana. Sattva und Ojas, die Lebenskraft, werden genährt und die Selbstheilungskräfte werden unterstützt. Wichtig ist es, möglichst früh zu erkennen, wenn die Vata-Energie ihre harmonischen Bahnen verlässt. Bei Störungen sollten deshalb möglichst rasch harmonisierende Maßnahmen des Ayurveda und des Yoga zur Regulation der Vata-Energie in Anspruch genommen werden, um die Disbalance auszugleichen und die Lebensqualität zu stärken. Die Ayurveda-Therapie bedient sich dafür der entgegengesetzten Eigenschaften. Vata gilt als leicht, klar, trocken, kalt, rau, schnell, beweglich, veränderlich, alles durchdringend und fein. Für die Therapie sind deshalb erdende, befeuchtende, wärmende, beruhigende, regelmäßige, strukturierende Maßnahmen angesagt. Bei der Ernährung und dem Trinkverhalten sollte man wärmende, feuchte, leicht verdauliche, verdauungsfördernde und regelmäßige Nahrungsaufnahme bevorzugen. Auch die Lebensführung und Kleiderwahl sollte diesen Kriterien entsprechen.
Der Yoga wiederum geht davon aus, dass sich im ganzen Schöpfungstrubel das klare Bewusstseinsprinzip mit dem materiellen Prinzip identifiziert – und damit entstehen die Probleme, denn durch diese Identifikation wirken die drei Mahagunas Sattva, Rajas und Tamas oftmals ziemlich unkontrolliert und prägen unseren Charakter oder unsere Verhaltensweisen. Wir werden dann die kapriziöse Lichtgestalt, der unstete Luftikus, die explosiven Hitzköpfe, der Fels in der Brandung oder eine Person, die nahe am Wasser gebaut ist. Wenn wir diese in uns wirkenden Triebe bewusst für unsere Entwicklung nutzen können, ist das ein Geschenk, wenn wir von ihnen gesteuert werden, wird es unangenehm. Hier setzt der klassische Yoga an: In den Yoga Sutras des Patanjali wird erklärt, wie wir funktionieren, weshalb wir leiden und was wir tun können, um uns aus diesem Kreislauf zu lösen: Die mentalen Prozesse, Citta, sollen zur Ruhe kommen. Dann kann erkannt werden, dass das Bewusstsein immer rein, klar und ohne Eigenschaften ist und sich einzig die Materie ständig verändert. Als Asana wird bei Patanjali nur die Sitzhaltung genannt: angenehm und stabil muss sie sein. Die genauen Anleitungen zu den Körperhaltungen sind hauptsächlich aus der tantrischen Strömung des Yoga, dem Hatha-Yoga, überliefert worden.
Der Körper als Tempel der Seele
Der Körper ist der Tempel für die Seele oder für das reine Bewusstsein. Ohne diesen ist Erfahrung und Entwicklung gar nicht möglich, also wird ein langes und gesundes Leben angestrebt. Das leuchtet ein, denn schon wenn wir nur Probleme mit der Verdauung haben, kann das unsere Lebensqualität stark beeinflussen; ein stabiles, angenehmes Sitzen wird möglicherweise qualvoll, Prana fließt nicht mehr ungehindert. Also wird zuerst die Reinigung des grob- und feinstofflichen Körpers fokussiert. In den Texten finden wir auch Empfehlungen zur Ernährung und welche Übungen geeignet sind, um eine zu stark wirkende Eigenschaft eines Elementes auszugleichen. Der enge Bezug zum Ayurveda kommt im Hatha-Yoga deutlich zum Ausdruck.
In beiden Yogarichtungen aber, dem klassischen und dem Hatha-Yoga, wird in all unserem Tun und Handeln eine Sattva-Qualität angestrebt. Dieses Mahaguna hat die Eigenschaft, dass wir uns entwickeln können und dass uns «ein Licht aufgehen kann». Auch wenn wir ein ethisches Verhalten anstreben, beschäftigen wir uns mit der Sattva-Qualität.
Auf das Was und Wie kommt es an
Personen, die in ihrem Naturell bereits eine Vata-Dominanz in sich tragen oder wenn die Vata-Energie aus den Fugen geraten ist, können auf der psychologischen Ebene den Einfluss der Mahagunas beobachten: Wirkt Vata in der ausgeglichen, lichtvollen Sattva-Qualität, zeigt sich das in einem flexiblen anpassungsfähigen, kommunikationsfähigen und positiv denkenden Verhalten. Gewinnt die Rajas-Qualität zu viel an Einfluss, kann sich das in einer Unentschlossenheit, Überaktivität, Abgelenktheit, Nervosität, Ängstlichkeit, Oberflächlichkeit, Rastlosigkeit und Geschwätzigkeit zeigen. Bei einem zu starken Tamas-Einfluss kann das Verhalten unehrlich, furchtsam oder heimlich tierisch werden.
«Das Bewusstsein ist immer klar.»
Die beiden ersten Stufen des klassischen Yoga setzen hier an. Durch regelmäßige Bewusstseins-, Achtsamkeitsübungen und Reflexionen ist es möglich, sein Verhalten kritisch zu reflektieren und dadurch wird erkennbar, wo oder wie wir gerade unterwegs sind. Bei einem Überschuss an Vata wird auch im Yoga zur Struktur geraten. Es macht Sinn, wenn man sich beispielsweise morgens in aller Ruhe den Tag visualisiert, sich mittags eine Tee-Pause gönnt und abends vor dem Schlafen gehen den Tag reflektiert oder eine Yoga-Nidra-Sequenz praktiziert. Ruhe und sich Gutes tun ist jetzt gefragt.
«Stabil und angenehm soll ein Asana sein.»
Diese Empfehlung Patanjalis ist ernst zu nehmen, wenn es um die Körperübungen geht. Ankommen und sich erden in einer Haltung, egal welches Asana eingenommen wird. Dann lieber etwas länger in einer Haltung bleiben, als ständig in eine neue wechseln. Dominiert das Vata Dosha, sollte speziell darauf geachtet werden, dass bei der Yogapraxis nicht das Gefühl aufkommt, dass die Praxis «nervt». Es macht keinen Sinn, das Vata-Dosha noch mehr zu reizen. Den Atem lang und regelmäßig führen, beruhigt. Wer die Ujjayi-Atmung beherrscht, kann den Atem im Asana in einen Takt führen und solange in der Stellung verweilen, bis Atem, Geist und Körper eine Einheit bilden und das ganze Umfeld in den Hintergrund rückt.
Der achtgliedrige Weg
Patanjalis Yoga Sutra spricht von einem achtgliedrigen Weg.
Es sind dies Hinweise
- zum Umgang mit der Umwelt: Yama
- zum Umgang mit sich selber: Niyama
- zur Körperarbeit: Asana (es gibt hier nur die stabile, angenehme Sitzhaltung!)
- zur Atem- und Energiearbeit: Pranayama
- zur Zentrierung und Auseinandersetzung mit inneren Gegebenheiten: Pratyahara
- zur Konzentration: Dharana
- zur Meditation: Dhyana
- zur Versenkung: Samadhi. Bei Vata-Überschuss sind Ruhepausen angesagt.
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