Panchakarma, Shirodhara, Svedana – das sind Methoden der Ayurveda-Medizin, um Schmerzen zu lindern. Im Gespräch: Veronika Bucher (B.A. Kommunikation, freischaffende Autorin) mit Sabine Anliker über palliative Therapie. Sie ist Naturheilpraktikerin in Ayurveda-Medizin mit eigener Praxis.
Sabine Anliker, seit vielen Jahren behandeln Sie PatientInnen mithilfe der Ayurveda-Medizin. Welche Erfahrungen haben Sie im Rahmen der Palliativtherapie gesammelt?
Gerade die Ayurveda-Medizin bietet in der Palliativtherapie individuell angepasste Behandlungsmöglichkeiten, welche die Symptome lindern, und die Lebensqualität der PatientInnen anhebt. So habe ich immer wieder PatientInnen, die sich für die Ayurveda-Medizin entscheiden und sich oft ergänzend zur Schulmedizin behandeln lassen wollen.
Kommen die PatientInnen zu Ihnen in die Praxis oder arbeiten Sie in Pflegeheimen, Spitälern oder bei den Betroffenen zuhause?
Die PatientInnen kommen in der Regel zu mir in die Praxis. Hier finden Sie eine wohlwollende, friedliche Atmosphäre, einen neutralen Raum des Seins. Früher habe ich auch Haus- und Spitalbesuche gemacht.
Wie kann der Ayurveda den Menschen in der Palliativtherapie begleiten? Haben Sie ein Beispiel?
Eine gute Freundin mit Brustkrebs durfte ich während mehreren Jahren alternativ zur Schulmedizin behandeln und unterstützen. In diesem Fall konnte die Ayurveda-Medizin, in Kombination mit anthroposophischer Misteltherapie, der Patientin helfen, bis zum Schluß ein würdevolles, aktives und den Umständen entsprechend zufriedenes Leben zu führen.
Was genau haben Sie unternommen?
Wir haben ihre Ernährung umgestellt: Denn individuelle ayurvedische Ernährung mit viel frischen, gekochten, biologisch angebauten und saisonalen Gemüsen, liebevoll zubereitet, dazu Vollkornreis, Ghee, warmes Wasser und ayurvedische Kräutertees, stärken die Patientin. Parallel zur Ernährungsumstellung machten wir eine Behandlung mit ayurvedischen Heilmitteln sowie Ganzkörper-Ölmassagen, Fußmassagen, Stirnölgüssen und auch ölige Darmeinläufe. Das alles unterstützte sie physisch und mental und hatte eine wohltuende und lindernde Wirkung. Auch im späteren Stadium konnten die Beschwerden und Schmerzen durch die Maßnahmen gelindert werden.
Sie haben die Misteltherapie angesprochen. Gibt es die auch im Ayurveda?
In der Ayurveda-Medizin gibt es keine Misteltherapie, wie sie in der anthroposophischen Medizin eingesetzt wird. Die Ayurveda-Medizin hat aber eigene sehr wirkungsvolle Heilmittel, die bei Krebs und Tumoren eingesetzt werden – oft ergänzend zur ausleitenden Panchakarma-Therapie oder zur Brimhana, also zur aufbauenden Behandlung mit entsprechender Nahrungsumstellung. In der Ayurveda-Medizin gibt es spezielle Kombinationsmittel, die sehr wirkungsvoll gegen Krebs sind. Zum Beispiel Kanchanara Guggulu, welches vor allem aus indischer Myrrhe und Kanchanara, einem Orchideenbaum, dem Bauhiniavariegata, zusammengesetzt ist sowie anderen ayurvedischen Heilkräutern. Es gibt jedoch einige NaturheilpraktikerInnen und ÄrztInnen, die Misteltherapie kombiniert mit Ayurveda-Medizin einsetzen. Ayurveda-Medizin lässt sich gut mit anderen Disziplinen und auch mit der Schulmedizin kombinieren.
Sie behandeln also auch KrebspatientInnen?
Ja, in einem spezifischen Fall konnte eine Patientin mit Gebärmutterhalskrebs von den Beschwerden befreit werden – mittels Ayurveda-Medizin, also ausleitenden Verfahren, Panchakarma-Therapie, ayurvedischen Heilmitteln, Ganzkörper-Ölmassagen, Svedana, das ist eine Ganzkörper-Dampf-Methode und individueller ayurvedischer Ernährungstherapie.
Je früher die Behandlung angesetzt werden kann, umso größere Chancen bestehen. Allgemein kann man sagen, dass Ayurveda-Medizin die Lebensqualität fördert, Schmerzen und andere Krankheitsbeschwerden lindert und psychische Belastungen reduziert. Somit ist Ayurveda prädestiniert – auch –für Palliativ-Pflege.
Wie läuft eine Behandlung ab?
Die Grundlage für eine Ayurveda-Medizin-Behandlung wird immer durch eine gründliche ayurvedische Anamnese und Diagnose inklusive Puls- und Zungenuntersuchung festgelegt. Weitere relevante Faktoren sind nebst der Betrachtung des Agni, also des Stoffwechsels, unter anderem auch das Ernährungsverhalten und der Lifestyle.
Und dann wählen Sie eine passende Methode?
Ja, aufgrund dieser Diagnoseverfahren wird ein individuell angepasster Therapieplan erstellt, der mit der PatientIn gemeinsam besprochen wird. In der Ayurveda-Medizin behandelt man in erster Linie aus dem Gleichgewicht geratene Energien – und nicht die Krankheitsbilder. Wir sprechen dabei von den Doshas – Vata, Pitta, Kapha –, die nicht mehr im Gleichgewicht sind. Die Kunst der Ayurveda-Medizin besteht darin, alle Krankheitssymptome einer PatientIn zu erfassen, deren Ursprung zu eruieren. Oft ist das ein Fehlverhalten, und danach zu bestimmen, welche Doshas erhöht und welche Gewebe, Dushyas, angegriffen sind. Diese detaillierte Analyse bildet die Basis der Therapieplanung.
Sie bringen sozusagen die Energien, also die Doshas, wieder ins Gleichgewicht?
Ja, das ist das Ziel der Therapie, und zwar durch entsprechende individuelle Anpassungen in der Ernährung, im Verhalten und durch abgestimmte ayurvedische Heilmittel und Therapien. Das führt zu einer Verbesserung des gesundheitlichen Zustandes und zu allgemeinem Wohlbefinden.
Wie ist es für Sie, mit schwerkranken Menschen zu arbeiten; wie verarbeiten Sie das persönlich?
Nach 25 Jahren Berufserfahrung als Naturheilpraktikerin habe ich gelernt, mit dem Leid der Menschen, mit schlechten Prognosen und schwierigen Situationen umzugehen. Außerdem hilft mir das Wissen und die Erfahrung, dass jeder Mensch seinen Lebensweg, seinen Lebenszweck und seine Lebensbestimmung hat. Auch Supervision, tägliche Meditation und Reflexion sind hilfreich für die Verarbeitung.
Aus ayurvedischer Sicht: Was sind die Ziele der Palliativtherapie?
Das höchste Ziel der Ayurveda-Medizin ist es, Glück und Zufriedenheit – wieder – zu erlangen, das Leiden zu lindern, eine möglichst gute Lebensqualität herzustellen und ein würdevolles Leben bis zum Tode leben zu können.
Wann ist es sinnvoll, die Alternativmedizin in der Palliative Care einzusetzen resp. bei welchen Schmerzen ist Ayurveda eine gute Wahl?
Ganz allgemein ist es gut, mit Ayurveda-Medizin so früh wie möglich zu beginnen. In den Anfangsstadien kann der Krankheitsprozess verlangsamt oder sogar gestoppt werden. Natürlich auch immer dann, wenn PatientInnen den Wunsch verspüren, Alternativmedizin palliativ einzusetzen. Es gibt PatientInnen, die sich ganz bewusst für den alleinigen Weg der Alternativmedizin entscheiden und möglichst auf die Schulmedizin verzichten wollen.
Ist das auch in Ihrer Praxis so?
Nein, da ist der häufigere gewählte Weg der gemeinsame mit der Schulmedizin. Leichte bis mittelschwere Schmerzen können mit Ayurveda-Medizin gut bis sehr gut behandelt werden. Bei sehr starken Schmerzen wirkt die Ayurveda-Medizin meist nicht mehr ausreichend, oft müssen dann schulmedizinische Schmerzmittel eingesetzt werden, dank Ayurveda-Medizin oft mit reduzierter Dosis.
Wie ist die Behandlung auf psychisch mentaler Ebene?
- Es gibt viele Möglichkeiten in der Ayurveda-Medizin, um auf die psychisch-mentale Ebene einzuwirken.
- Ayurvedische Heilmittel, also Kräuter, wie Brahmi, Mandukaparni, Shankhapushpi usw. haben eine ausgezeichnete Wirkung auf die Psyche.
- Heilmitteltherapie über die Nase ist eine ausleitende Behandlung mit reinigender und harmonisierender Wirkung.
- Shirodhara, die Stirnölgüsse, werden bei psychischen, depressiven Verstimmungen oder mentaler Unruhe erfolgreich eingesetzt.
- Die Ganzkörper-Ölmassagen Abhyanga oder auch die Fußmassagen mit ausgewählten medizinierten Ölen haben eine entspannende, durchblutungsfördernde und schmerzlindernde Wirkung.
- Und natürlich sind insbesondere Meditation, Pranayamaübungen und Yoga starke Werkzeuge, um auf psychisch-mentaler Ebene zu arbeiten.
Werden Angehörige in die Therapie miteinbezogen? Falls ja, wie?
Ja, es ist sehr wichtig, dass die Angehörigen in die Therapie miteinbezogen werden. In meiner Praxis sind die Angehörigen meist bei der Besprechung der Therapieplanung dabei. Da sprechen wir auch über die Ernährung und mögliche Ernährungsumstellung, über Bewegung, Lifestyle und vieles mehr. Es ist wichtig, dass die PatientInnen im Behandlungsprozess von den Angehörigen unterstützt werden. Oft ist es so, dass auch die Angehörigen Schwierigkeiten, Ängste und Unsicherheiten haben, die wir dann offen und gemeinsam besprechen.
Sie führen seit vielen Jahren eine eigene Praxis, sind auch Dozentin für Ayurveda-Medizin. Welchen Stellenwert hat Palliativtherapie in der Ausbildung?
Besonders in der Ausbildung zur NaturheilpraktikerIn mit eidgenössischem Diplom hat die Palliativtherapie einen hohen Stellenwert. Es wird ein ganzes Modul diesem Thema gewidmet und während der Ausbildung in verschiedenen Themenbereichen wiederholt.
Danke fürs Gespräch, Sabine Anliker.
Ganzheitlich und individuell
Die indische Heilkunde Ayurveda – «Lebens-Wissen» – ist das weltweit älteste Medizinsystem. Der Ayurveda betrachtet den Menschen ganzheitlich; je nach Konstitution und Ressourcen einer PatientIn erarbeiten NaturheilpraktikerInnen ein individuelles Therapiekonzept, ggf. mit ausleitenden Verfahren, Ernährungstherapie und Ganzkörper-Ölmassagen. Es gibt ein großes Angebot an Ayurveda-Kurhäusern mit Wellness-Charakter; für Personen, die wirkliche Linderung und Genesung suchen, gibt es professionelle Ayurveda-MedizinerInnen, die oft auch mit Ayurveda-Kliniken in Indien zusammenarbeiten. Ausbildungen zur NaturheilpraktikerIn in Ayurveda-Medizin gibt es in Indien. Und in der Schweiz; da gibt es sogar ein eidg. Diplom zu dieser indischen Medizin: zum Beispiel die Heilpraktikerschule Luzern und die Rosenberg Europäische Akademie für Ayurveda in Zürich. Mehr dazu auf den Websites der OdA AM, der Organisation der Arbeitswelt Alternativmedizin, und des Ayurveda-Medizin Verband Schweiz AMVS: www.oda-am.ch und www.amvs.ch, da gibt es auch eine TherapeutInnen-Suche.
Kontakt
Sabine Anliker
Naturheilpraktikerin mit eidg. Diplom in Ayurveda-Medizin
MSc in Ayurveda Medizin
Ruopigenplatz 8
6015 Luzern
www.ayush.ch
Fotos
«Shirodhara, also die Stirnölgüsse, werden auch in der Palliative Care eingesetzt: bei psychischen, depressiven Verstimmungen oder mentaler Unruhe», so Sabine Anliker. Während mehr als zwanzig Minuten fliesst kontinuierlich warmes Öl sanft über die Stirn der PatientIn. Das Öl, oft auf Basis von Sesamöl, ist mit Kräutern angereichert und erwärmt.
Schmerzlindernd: «Die Ganzkörper-Ölmassage Abhyanga mit ausgewählten medizinierten Ölen hat eine entspannende, durchblutungsfördernde und auch schmerzlindernde Wirkung», sagt Sabine Anliker.
Um Palliativ-PatientInnen auf psychisch-mentaler Ebene zu unterstützen, setzt Sabine Anliker ayurvedische Heilmittel ein. Das sind Kräuter wie Brahmi, Shankhapushpi oder Mandukaparni; letzteres im Bild.
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