Ein Überblick auf der Grundlage der Lehren von Zhi Chang Li
Zhi Chang Li wuchs in der Tradition der chinesischen Medizin und des Qi Gong auf, die ihm bereits von seinen Großeltern und Eltern vermittelt wurde.
Er arbeitete viele Jahre lang als Akupunktur-Arzt in Peking. Seit 1989 lebt er in Europa, wo er das Institut für das Stille Qi Gong in München gründete.
„Einen guten Arzt und Heiler erkennt man daran, dass sein Besucherzimmer stets leer ist.“
(Altchinesischer Weisheitsspruch)
In der traditionellen chinesischen Medizin kommen Diätetik und Qi Gong an erster Stelle. Gesunderhaltung und Heilung von Krankheit geschahen in den alten Kulturen immer zuerst über die Ernährung. So auch in der TCM, der traditionellen chinesischen Medizin. Die Grundlage der chinesischen Ernährung ist Reis, der Dampf, der ihm entströmt ist Qi, das das Blut und den gesamten Körper nährt. (Das chinesische Schriftzeichen für Qi wird auch als Zeichen für ein Reiskorn interpretiert, dem Dampf entströmt.) Mit richtiger Ernährung und Qi Gong konnte man vielen Krankheiten vorbeugen und sie auch kurieren. Später kamen Akupunktur, Kräuter und Massage hinzu.
Qi Gong ist der älteste Zweig der chinesischen Medizin. Dabei geht es darum, wann immer es möglich ist, die Lebenskraft, die chinesisch Qi genannt wird, zu pflegen und zu kultivieren. Wenn zum Beispiel die Mutter bereits in der Schwangerschaft Qi Gong-Übungen ausführt, um ihre Lebenskraft zu stärken, so wirkt das bereits für das noch nicht geborene Kind präventiv. Da die chinesische Medizin eine holistische Medizin ist, setzt sie nicht erst dann ein, wenn ein Mensch krank geworden ist, und behandelt nicht einfach Symptome. Die traditionelle chinesische Medizin arbeitet vorsorgend, d.h. sie will die Gesundheit unterstützen, um dadurch Krankheit vermeiden zu können. Sie behandelt den ganzen Menschen und beginnt bei den hinter den Symptomen liegenden Ursachen.
Die Arbeit mit Qi setzt aber voraus, dass der Patient nicht bereits zu schwach ist, um sich auf Übungen konzentrieren zu können. Wenn dies der Fall ist, werden zunächst andere Methoden eingesetzt. Diätetik, Kräuter und Massagen werden verwendet und der Arzt überträgt Qi. Danach werden sanfte Übungen gelehrt, die den Patienten langsam stärken. Die Praxis des Stillen Qi Gong (gong = arbeiten, anwenden) zeichnet sich dadurch aus, dass es übend erfahren und ganzheitlich über Körper, Fühlen und Denken verarbeitet wird. Es verzichtet fast ganz auf äußere Bewegungen, stattdessen wird ein tiefes meditatives Sich-Versenken praktiziert, das schließlich zur inneren Bewegung führt.
Die Früchte des Qi Gong machen sich jedoch verschieden bemerkbar, je nachdem, wie regelmäßig und zuverlässig mit oder ohne Lehrer geübt wird. Eine Empfehlung lautet, gerade dann zu üben, wenn es langweilig wird. Immer dann, wenn wir uns nicht konfrontieren wollen, wenn wir zu flüchten versuchen, sollten wir uns in das Üben versenken. Im Qi Gong lernt man, „gegen den Strom zu schwimmen”. Dies ist oftmals entscheidend, um heil zu werden oder um ein Heiler zu werden. Im Laufe unseres Lebens werden wir konditioniert. Dadurch lernen wir bestimmte Verhaltensweisen, die wir meist beibehalten wollen, weil dies bequem ist. Durch verstärktes Üben reißen wir uns aus den Gewohnheiten heraus. Es wird immer wieder die Empfehlung gegeben, weiter zu üben, auch neue Übungen aufzugreifen.
Eine alte taoistische Regel lautet jedoch, dass es nichts zu tun gibt. Warum also sollte geübt werden? Die Regel lautet weiter: Jeder Tropfen Wasser, der über dieselbe Stelle rollt, ist gewandelt und neu. Zwei sich widersprechende Aussagen sind also in dieser Regel enthalten: Es gibt nichts Neues, denn der Tropfen Wasser bleibt immer ein Tropfen Wasser, und doch wird er neu, indem er rollt.
Auf das Üben übertragen heißt das: Wir Menschen können uns nicht grundlegend verändern, aber durch Üben, das dem absichtslosen Rollen des Wassertropfens gleicht, werden wir langsam auf entwickelter Ebene erhoben oder können in noch tiefere Schichten sinken. Denn wir werden gewandelt und neu, indem wir immer dasselbe tun.
Die traditionelle chinesische Medizin, TCM, umfasst 5 große Bereiche:
1. Ernährung
2. Qi Gong
3. Kräutertherapie
4. Massage
5. Akupunktur und Moxa
Nach der Aussage des chinesischen Akupunkturarztes und Qi Gong-Meisters Zhi Chang Li ist die wahre traditionelle chinesische Medizin, die durch eigenes Üben und Erfahren entstanden ist, im Aussterben begriffen. Nur durch das eigene Üben in der Stille lässt sich Qi erfahren und wird die Wirkung von Yin und Yang, die beiden Grundbegriffe der chinesischen Philosophie und Medizin, erlebbar. Nur durch das Üben in der Stille wird der Arzt fähig sein, Qi auf einen Patienten zu übertragen und dadurch Heilung einzuleiten.
So arbeiteten die Meister des alten China. Wie viele Nadeln jedoch werden heute rein symptombezogen und ohne Qi als Grundlage gestochen! Ein chinesischer Arzt durfte früher keine Nadel setzen, bevor er nicht gelernt hatte, Qi zu lenken und zu übertragen, das heißt, über die Nadel Qi abzugeben und aufzunehmen. Er musste das Sedieren und Tonisieren kennen, musste wissen, wie tief die Nadel zu stechen und wie sie zu bewegen ist. Diese Kunst ist nicht in 400 Akupunkturstunden zu erlernen. Qi ist älter als die Nadel. Mit Qi können Qi–Felder oder Punkte auf den Meridianen geöffnet und geschlossen werden.
Die Behandlung mit Kräutern schrieb für jedes Medikament 12 verschiedene Kräuter vor.
Dabei gibt es den „Herrscher”. Das heißt, das herrschende Mittel, das vier Heilmittel enthalten kann. Der „untertänige Minister” besteht aus sechs Heilmitteln. Dazu werden zwei „Leibwächter” in Form von zwei schützenden Kräutern hinzugegeben. Die Kräuter werden mit Mudras (genau vorgeschriebene Handhaltungen) und Mantren (heilige Klänge, Gebete) gestärkt, damit die richtige Tugend und der richtige Geist durch die Kräuter auf den Patienten übertragen werden.
Die Kraft des Geistes wird also benützt, um Qi zu beeinflussen, damit Qi über die Kräuter wirken kann. Mit dieser Vorgehensweise kann das Blut beeinflusst werden. Wer beherrscht heute noch die Kunst, mit Qi Blut zu bewegen oder durch Blut Qi zu stützen?
Wie die altchinesische Philosophie geht auch die traditionelle chinesische Medizin vom Modell der drei (kosmischen) Zonen aus.
Die unterste Ebene ist die der Materie, des Körpers, des Festen, chinesisch Jing (Essenz) genannt.
Die zweite Ebene ist die des Qi, der Lebenskraft. Medizinisch gesehen gehört auch das Blut, chinesisch Xue, auf diese Ebene. Qi und Xue bilden ein Paar. Qi ist Yang, Xue ist Yin.
Beide stützen und beeinflussen einander.
Die dritte Ebene ist die des Geistes, chinesisch Shen.
1. Jing
Jing, Essenz hat ihren Platz im Unterbauch. (im Unteren Dan Tien, im Lebenstor = Ming Men, in der Qi-Grube)
Es wird zwischen vorhimmlischer Essenz, das ist die Essenz von der Zeugung bis zur Geburt, und der nachhimmlischen Essenz, die Essenz nach der Geburt, unterschieden. Die vorhimmlische Essenz prägt die Konstitution des Menschen und kann nach der Geburt genährt und gepflegt werden. Auch die nachhimmlische Essenz soll genährt und gepflegt werden. Träger dieser Essenz sind die Nieren. Durch Ernährung können die Nieren gestärkt werden. Da die Farbe schwarz den Nieren zugeordnet wird, können alle schwarzen Nahrungsmittel, wie schwarzer Reis, schwarzer Sesam, Schwarzwurzeln, schwarze Lotuswurzeln die Nieren anregen.
2. Qi
Qi ist die alles durchdringende Lebenskraft. Sie belebt, vitalisiert, nährt, schafft Blut, stützt Blut, tonisiert, hebt Organe, bewegt, fließt, löst Blockaden, gleicht aus, stärkt und reinigt. Ist das Qi geschwächt, zersetzt sich alles und zerrinnt. Bei der Qi-Schwäche unterteilt man in Yin-Schwäche, die sich in dauernder Aktivität, Unruhe, falscher Hitze zeigt, und Yang-Schwäche, die durch langsames Denken und Kälte gekennzeichnet ist.
Durch die Nahrung kann das Qi gestärkt werden, indem warm gegessen wird, auch durch wärmende Gewürze wie Ingwer, Nelken, Muskat, Pfeffer, während schleimbildende Nahrungsmittel, wie Milch und Milchprodukte vermieden werden sollen. Durch Akupunktur und Moxen im Bereich des Milz-Meridians kann das Qi gestärkt werden.
3. Shen
Shen ist Geist. Sein Haus ist das Herz. Das Herz, das Shen enthält, ist der Kaiser aller Organe, Shen regiert im Palast der Mitte, im Mittleren Dan Tien. Hier befindet sich alles, was wir vor dem Qi (Yang) und vor dem Blut (Yin) erhalten haben. Wir nennen das Charakter und Persönlichkeit.
Vom Standpunkt des Stillen Qi Gong aus gesehen beginnt die Ruhe, die innere Stille beim Herzen. Im Herzen ist Shen zu Hause. Shen wirkt auf unser Qi und durch Qi wirkt es auf das Blut. Nur mit Qi können wir das Blut beeinflussen. Qi kann durch die Kraft der Vorstellung und inneren Aufmerksamkeit Blut reinigen, nähren und bewegen. Nur wenn das Blut gereinigt ist, nur wenn die Blutqualität gut ist, kann sich das Herz beruhigen und kann Stille eintreten.
Angesprochen auf das Besondere des Stillen Qi Gong sprach Zhi Chang Li vom „Kleinod der chinesischen Kultur” und fuhr dann fort:
Qi Gong – das Kleinod chinesischer Kultur
„Es ist schwer zu definieren, was man eigentlich unter Qi Gong versteht, denn je nachdem, unter welchem Gesichtspunkt man es sieht, wird sich die Definition von Qi Gong ändern.
Zum Beispiel können wir sagen, dass wir beim Üben von Qi Gong die Atmung reduzieren, dass der Körper zur Ruhe kommt, dass Ruhe ins Herz einkehrt. Alle Menschen, die sich vornehmen, Qi Gong zu üben, müssen das erreichen. Das könnte man das Qi Gong der Anfänger nennen.
Für die Fortgeschrittenen geht es darum, die „6 Wurzeln” zu kappen, d.h., die Sinnesorgane: Augen, Ohren, Nase, Zunge, den gesamten Körper, die Vorstellungskraft zurückzunehmen, um auf eine andere Ebene zu gelangen. Das erreicht man nur durch intensives Üben.
Qi Gong ist aber vor allem ein wichtiger Bestandteil der chinesischen Kultur, auf die es von alters her großen Einfluss hatte. Qi Gong hat den Taoismus, den Konfuzianismus und den Buddhismus beeinflusst. Vor allem ist die Wirkung auf die chinesische Medizin sehr groß. Man kann wohl sagen, dass es erst durch das Praktizieren von Qi Gong möglich ist, die taoistische und konfuzianische Denkweise zu erfassen und den Kern der chinesischen Medizin zu begreifen.
Die Taoisten sind zu der Erkenntnis gekommen, dass der Kosmos aus drei Ebenen besteht, die sie Himmel, Erde und Mensch nennen. Parallel dazu gibt es die Ansicht, dass die Welt aus drei Bereichen geschaffen ist: Aus dem Bereich des Formbesitzenden, das ist die Materie (chinesisch: you), aus dem Bereich des Formlosen, das ist der Geist (chinesisch: wu), und aus einem Bereich, der dazwischen liegt. In einem stillen Zustand solche Übungen zu praktizieren, die diesem Zwischenbereich zugeordnet werden, das nennen wir Qi Gong.
Die moderne Zeit hat viel Fortschritt, manchen Reichtum und Annehmlichkeiten gebracht, gleichzeitig aber auch Probleme wie Stress, Hektik, Umweltbelastung und Lärm. So sind wir meistens nicht in einem gelösten Zustand, sondern angespannt und verkrampft. Qi Gong kann zur Lösung dieser Probleme beitragen, nämlich wieder zur Ruhe zu finden. Dabei geht es nicht darum, nur den Körper zu entspannen, sondern vor allem den Geist. Gleichzeitig können wir auch durch das Üben von Qi Gong Krankheiten reduzieren und einen Lebensraum schaffen, dessen materielle Grundlage uns Entspanntheit, Zufriedenheit, ja Frieden schenkt und Befreiung von Leiden.
Dass sich die Wissenschaft für Qi Gong öffnet, ist bis jetzt nur ein Wunsch. Der große chinesische Kernforscher und Atomphysiker Quian Xucen sprach von der neuen Wissenschaft vom Menschen, die ihrer Zeit weit voraus ist, und dazu gehört Qi Gong. Wirklich den lebenden Menschen zu erforschen, das geht nur mit Qi Gong. Qi Gong ist ein neuer Wissensbereich, doch uralt und neu zugleich.
Es mag noch lange dauern, bis der Wert des Qi Gong im Westen erkannt wird. Ich jedenfalls habe begonnen, etwas zu tun und nach mir wird es jemanden geben, der sich mit diesem Thema beschäftigt. In den 10 Jahren meiner Arbeit hier im Westen hat sich manches verändert. Wir haben nicht laut geredet. Wir haben nur einfach etwas getan. Und es gibt einen kleinen Teil meiner Schüler, die das Wahre übernehmen und weitergeben.
Die Menschen, die zu mir kommen, um Qi Gong zu üben, haben verschiedene Motive. Einige wollen gesund werden, andere gesund bleiben, manche wollen Arbeitsprobleme lösen, manche suchen Entspannung. Einige kommen, weil sie von der chinesischen Kultur angezogen sind. Alle sind bereit, Zeit und Energie dafür aufzubringen.
Es wäre schön, wenn möglichst viele Menschen Qi Gong erfahren könnten, so dass es Einfluss nehmen kann auf die Familien und auf die junge Generation. Wenn die jungen Menschen Qi Gong erfahren, wird es einen schnelleren Fortschritt geben und sie können das neue Wissen in die Wissenschaften einfließen lassen, um dem Kern der Dinge näher zu kommen. Aber das ist ein langer Weg.
Auf dem Weg bin ich nur ein Pflasterstein. Wenn ich auch das prächtige Ende vielleicht nicht miterleben kann, so will ich doch Wegbereiter sein. In der Heimat des Qi Gong entfernen sich die Menschen unter dem Einfluss der westlichen Zivilisation, die ja auch viel Fortschritt gebracht hat, immer mehr von ihrer eigenen Kultur. Wenn auch die Qualität abnimmt, die Qualität des Stillen Qi Gong wird erhalten bleiben. Schließlich hat es bis jetzt 5000 Jahre überlebt.”
…. wird fortgesetzt
Zusammengestellt von Brigitta Pflüger–Meienberg.
Entnommen aus: Paracelsus Health & Healling I/1 2015
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