4. Methodik der TEN
4.2 Therapie, Prävention und Salutogenese
4.2.1 Grundsätzliches zur Therapie in der TEN
Anknüpfend an die in 3.1 genannten Aspekte ist die Therapie der TEN nicht linear darauf ausgerichtet, durch Gabe eines Wirkstoffes bzw. Anwendung einer sonstigen Technik eine Linderung oder Beseitigung von Symptomen herbeizuführen. Ihr Wirkungsansatz besteht – unabhängig von der angewendeten Methode – darin, durch spezifische und unspezifische Therapiereize die im ‚System Mensch‘ vorhandenen Selbstheilungsmechanismen zu optimieren, d. h., entsprechend der bestehenden pathophysiologischen Situation entweder zu aktivieren, zu dämpfen oder in ihren Aktivitätsmustern zu modifizieren. Grundlage ist die diagnostische Analyse der humoralen Situation des Kranken. Die Wirkung einer therapeutischen Intervention erfolgt nicht durch die Anwendung selbst, sondern ist immer als Reaktion des Organismus auf den therapierelevanten Reiz zu sehen. Dazu zwei Beispiele:
- Eine ‚warme‘ bzw. ‚erwärmende‘ Pflanze (wie etwa Angelica archangelica) bringt bei ihrer Anwendung nicht Wärme in den Organismus hinein, sondern stimuliert dessen aktive Wärmeproduktion. Dies ist sinnvoll bei Kälte-Krankheiten.
- Ein ‚feuchter‘ bzw. ‚befeuchtender‘ Ölwickel bringt keine Feuchtigkeit in den Organismus, sondern stimuliert die Entwicklung physiologischer Feuchtigkeit. Dies ist sinnvoll bei Krankheitszuständen durch Trockenheit.
In Analogie zur Krankheitslehre der TEN definiert sich die Wirkungsweise einer therapeutischen Anwendung an folgenden Kriterien:
- elementare bzw. humorale Qualität (erwärmend / kühlend; befeuchtend / trocknend)
- Bezug zu einem Kardinalsaft
- Bezug zu einem Gewebe bzw. Organsystem
- konstitutionelle Wirkung
- Indikationen (die indikationsorientierte Behandlung ist ein eher untergeordneter Teilaspekt der TEN und kann ohne die zuvor genannten Aspekte nicht realisiert werden.)
Wirkprinzipien von Arzneimitteln
Die TEN sieht die Wirkung ihrer Arzneimittel nicht allein in den pharmakologischen Prozessen der Inhaltsstoffe, sondern als spezifische Reize, die auf primär energetisch-informatorischer Ebene Abwehr-, Reorganisations- und Regenerationsprozesse beeinflussen.
Bei pflanzlichen Arzneien resultiert diese Wirkung nicht aus einzelnen Inhaltsstoffen, sondern aus dem Gesamtkomplex aller in der Pflanze enthaltenen Wirkprinzipen, die mit den Analysemethoden der modernen Wissenschaft nicht adäquat zu erfassen sind.
4.2.2 Diätetik
Stofflich gesehen ist Nahrungsaufnahme notwendig, um den Aufbau, die Regeneration der Körperzellen und ihre Versorgung mit Energie zu gewährleisten. Um sie Nutzen zu können muss der Organismus aber die körperfremden Substanzen zu „körpereigenen“ umbauen können, was man in der TEN als Coctio bzw. Assimilation bezeichnet. In der Diätetik werden daher nicht nur die Qualitäten der Nahrungsmittel selber betrachtet, sondern auch ihre Wirkung auf den Körper, die entscheidend von der Konstitution und der individuellen Fähigkeit der Verwertung abhängt. Das heißt konkret, dass es nie eine universelle Ernährung für alle Menschen geben kann.
Alle Lebensprozesse beruhen sowohl auf einem stofflichen als auch auf einem energetischen Prinzip. Die energetische Qualität, repräsentiert durch das Wärmeprinzip, gilt als Maß für die Vitalität. Der stoffliche Anteil eines Nahrungsmittels ist somit ’nur‘ potentielle Voraussetzung für den Gewebsaufbau und die Energiereserven. Jedes Lebensmittel hat betreffend des Wärme- und Feuchtigkeitsprinzips andere Qualitäten: Eine rohe Gurke beispielsweise ist feuchter und kälter (und wirkt im Körper feuchter und kälter) als eine gekochte Kartoffel.
4.2.3 Traditionelle Arzneimitteltherapie
Der Arzneischatz (Materia medica) der TEN enthält Substanzen vor allem aus pflanzlichen, tierischen und mineralischen Quellen. Daneben werden auch menschliche Stoffe (Nosoden und Autonosoden) zu Heilzwecken eingesetzt.
Heilpflanzenkunde
Das traditionelle Heilpflanzenwissen basiert nicht auf der Kenntnis der chemischen Inhaltsstoffe, sondern auf fundiertem Erfahrungswissen aus der Signaturenlehre, der Humoral- und Astromedizin. Eine Synthese dieses Wissens mit den heutigen Erkenntnissen stellte eine bereichernde Erweiterung dar.
Für die Beurteilung der Heilpflanzen und ihrer Heilwirkung ist das humoralmedizinische Konzept, in dem auch Heilpflanzen und Nahrungsmittel in Beziehung zu den vier Säfteprinzipien gesetzt werden, von großer Bedeutung. Die galenistische Medizin leitet die Wirkungsprinzipien einer Heilpflanze aus ihren wahrnehmbaren Qualitäten ab. Beispielsweise können wärmende und trocknende Pflanzen bei kalten und feuchten Erkrankungen, wie einer Verschleimung der Atemwege, Linderung verschaffen.
Primärqualitäten:
Die humoralmedizinische Wirkung von Heilpflanzen wird anhand ihrer Elementarqualitäten beurteilt. Das sind Eigenschaften, die sich aus dem Elementen- und Säftebezug der Substanzen ergeben und in vier verschiedene Intensitätsgrade (1° undeutlich spürbar, 2° klar erkennbar, 3° heftig spürbar, 4° extrem stark, u.U. sogar schädigend) eingeteilt werden.
Eine Heilpflanze wie Engelwurz (Angelica archangelica) wird beispielsweise als warm im 3. Grad und trocken im 2. Grad beschrieben – w 3 / t 2. Die Gradeinteilung ist lediglich eine grobe Einschätzung des Wirkungspotenzials einer Heilpflanze – die effektive Wirkung hängt einerseits von der Zubereitung und Anwendung des Heilmittels, als auch vom Reaktionsvermögen des Patienten ab.
In der praktischen Anwendung der galenistischen Medizin wird eine Krankheit, die beispielsweise im 2. Grad kalt ist, mit einem Mittel behandelt, das im 2. Grad warm ist. Dazu muss allerdings bekannt sein, welche Wärme- und Feuchtigkeitsverhältnisse in der Konstitution des Patienten und in seinem Krankheitsprozess vorherrschen. Nach dem Prinzip der Gegensätzlichkeit wird danach eine Therapie und/oder ein Heilmittel ausgewählt, die das Ungleichgewicht der Qualitäten auszugleichen vermag.
Eine durch übermäßige Beanspruchung bedingte Sehnenentzündung kann als hitzige Krankheitserscheinung beispielsweise durch einen kühlend-befeuchtenden Quarkwickel oder eine entzündungshemmende Heilpflanzendroge wie Weidenrinde (Salicis cortex) gelindert werden.
Sekundäre Qualitäten:
In dieser zweiten Gruppe von Eigenschaften unterscheidet man neun verschiedene Geschmacksrichtungen, in denen das Wirkungsvermögen von Heilpflanzen erkennbar wird:
Geschmack | Pflanzenbeispiel | Wirkungsbeispiele |
---|---|---|
süss | Kastanie, Honig | beruhigend, verlangsamend, stärkend, leicht wärmend, schmerzstillend, nährend und kochungsfördernd |
scharf | Knoblauch, Thymian | kräftig wärmend, aktivierend und beschleunigend |
salzig | Algen, Flechten | erweichend, durchdringend, reinigend, fäulnismindernd, austrocknend |
sauer | Essig, Heidelbeere | zusammenziehend, kühlend, festigend, hitzemindernd, flüssezurückstossend |
bitter | Enzian, Wermut | leicht wärmend, anregend |
herb | unreife Früchte, Blutwurz | zusammenziehend, aufrauend, kühlend, flüssestillend |
widerlich herb (unange- nehmer als herb) | Gallapfel | stärker zusammenziehend, austrocknend, abkühlend, verdichtend |
fett | Lein, Olive | geschmeidig, befeuchtend, erweichend, nährend |
geschmacklos | Getreidestärke (z. B. Maizena), Malve | verstopfend, klebend, eher kühlend, wässrig |
Im Weiteren werden noch tertiäre Qualitäten, welche sich erst aus der therapeutischen Anwendung über eine gewisse Zeit ableiten lassen, beschrieben – z. B. gewebestärkend, milchbildungsfördernd.
Die unterschiedlichen Zubereitungs- und Darreichungsformen beeinflussen die humoralen Qualitäten einer Heilpflanze. Ein alkoholischer Auszug einer Droge ist beispielsweise um 1-2 Grad wärmer als ihr Wasserauszug.
Eine nach humoralen Kriterien erstellte Vergleichsübersicht der Heilpflanzenqualitäten ermöglicht eine spezifischere und individuellere Anwendung derselben.
Der Säftebezug von Heilpflanzen (Beispiele)
Sanguis
Coctio- bzw. verdauungsfördernde Pflanzen wie Kalmus (Acorus calamus) stärken das Sanguisprinzip, ebenso durchblutungsfördernde, wärmende Pflanzen wie Rosmarin (Rosmarinus officinalis). Durch ihre wärmende Qualität fördert die Brennessel (Urtica dioica) die Kochung und damit die Bildung von Sanguis. Arnika (Arnica montana) wirkt wärmend und tonisierend auf die Blutgefässe und das Herz. Engelwurz (Angelica archangelica) erwärmt den Magen, die Schleimhäute der Atemwege, die Leber und die Gebärmutter.
Schmerzlindernde, entzündungshemmende und kühlende Heilmittel wie Weidenrinde (Salicis cortex) dämpfen überschießende Hitze des Sanguis, ebenso spasmolytische, blutstillende, fieberregulierende Pflanzen. Befeuchtende Pflanzen wie Eibisch (Althaea officinalis) schützen hingegen vor deren schädigenden Auswirkungen und nähren die Schleimhäute.
Cholera
Heilpflanzen wie die saure Berberitze (Berberis vulgaris) vermindern cholerische Schärfen durch deren Ableitung über das Leber-Galle-System. In ähnlicher Weise wirken schmerzstillende, fiebersenkende Drogen wie die Weide (Salix alba) oder Juckreiz-stillende wie das Labkraut (Galium verum). Süssholz (Glycyrrhiza glabra) befeuchtet und lindert so die Trockenheit, welche infolge der gelbgalligen Hitze entsteht.
Leberregulierende Bitterpflanzen wie Löwenzahn (Taraxacum officinale) führen zu einer Anregung und Entkrampfung dieses Organs und erlauben so, die gelbgallige Hitze in den Darm zu leiten und auszuscheiden. Stoffwechselregulierende Pflanzen wie Erdrauch (Fumaria officinalis) optimieren die Kochung, verhindern die Bildung pathologischer Säfte und fördern deren Ausscheidung.
Phlegma
Schleimstoffpflanzen wie Malve (Malva silvestris) oder Eibisch (Althaea officinalis) wirken schützend und befeuchtend auf die Schleimhäute, wenn diese durch entzündliche Hitze, Stress oder Medikamente (z. B. Chemotherapie) geschädigt werden.
Viel häufiger gilt es jedoch, kaltes Phlegma zu erwärmen, indem die Kochungen gefördert und die Bauchorgane erwärmt werden, z. B. durch Fenchel (Foeniculum vulgare), Eberraute (Artemisia abrotanum) oder Meisterwurz (Peucedanum ostruthium). Andere wärmende Pflanzendrogen wie Holunderblüten (Sambuci flos) öffnen und leiten kaltes oder mit gelbgalligen Schärfen verunreinigtes Phlegma aus.
Melancholera
Der schwarzgallig bedingte Mangel an Wärme und Feuchtigkeit verlangt nach aktivierenden, tonisierenden und stärkenden Heilmitteln wie Ingwer (Zingiber officinale). Gleichsinnig wirken Milzmittel wie Erdrauch (Fumaria officinalis), Borretsch (Borago officinalis) oder Hirschzungenfarn (Scolopendrium vulgare), welche zusätzlich die Ausscheidung von Melancholera anregen, ebenso aufhellende Heilpflanzen wie die Melisse (Melissa officinalis).
Eine diagnostische Kontrolle der humoralen Qualitäten kann beispielsweise durch die Veränderung von Symptomen (z. B. neue und verstärkte Hitzesymptome nach Einnahme, statt Verblassen der bestehenden) oder durch Puls-, Zungen-, Urindiagnostik erfolgen.
… wird fortgesetzt
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