Individualisierung homöopathischer Medizin auf der Grundlage von Empfindung, Naturreich, Familie und Miasma
Wohl in keinem Medizinsystem wird jeder einzelne Patient so individuell behandelt wie in der Homöopathie. Es gibt über 2000 Substanzen, die sich bisher homöopathisch bewährt haben, und es werden ständig neue Arzneimittel-Prüfungen durchgeführt. Jede Substanz in der Natur, ob Pflanze, Tier oder Mineral ist potentiell ein homöopathisches Heilmittel. Den Möglichkeiten sind keine Grenzen gesetzt. Kräuterkundige sind auf das Pflanzenreich beschränkt. Homöopathen haben ein unbegrenztes Repertoire an Heilmitteln — alle Substanzen dieser Erde stehen ihnen zur Verfügung. Die Herausforderung für den Homöopathen besteht darin, die eine Substanz, ‚das Simillimum‘, zu finden, die Substanz, die am besten zu den Symptomen des Patienten passt. Wenn dies gelingt, kann die daraus resultierende Heilung aller Symptome dieser Person dramatisch sein.
Unser Mentor, Dr. Rajan Sankaran aus Mumbai, Indien, entwickelte die verfeinerte Theorie, dass es eine einzigartige Verbindung gibt zwischen der benötigten Substanz (aus der die homöopathische Medizin hergestellt wird) und dem Zustand des Individuums, das sie benötigt (die sog. Empfindungsmethode!).
Es scheint, dass das Individuum sich irgendwie eine Energie von der Natur „borgt“, die nicht wirklich zu ihm oder ihr gehört. Durch eine recht bemerkenswerte sehr offene, wertungsfreie Art, dem Patienten Fragen zu stellen und/oder ihm seine eigenen Worte widerzuspiegeln, ist es dem Patienten oft möglich, dem Homöopathen genau zu sagen, welche Substanz/Heilmittel benötigt wird. Es kann sein, dass der Patient dem Prozess mit genügender Aufmerksamkeit folgen und erkennen konnte, was sich gerade enthüllt hat, es kann aber auch sein, dass er dies nicht bemerken konnte, da er sich fast in einer Art Trance befindet. Tatsächlich ist es üblich, dass die Person kommentiert: „Das klingt für mich nach Unsinn“ oder „das macht für mich überhaupt keinen Sinn“. Wenn dies geschieht, spricht der Patient aus der nicht wirklich typisch menschlichen Sicht der Substanz und nicht aus der typisch menschlichen Sicht des Verstandes. Es ist ein sehr spannender Moment für den Homöopathen, wenn die Substanz offenbart wird. Wir nennen diesen Entdeckungs- und Offenbarungsprozess „Sprechen aus der Quelle“.
Indem der Homöopath die genaue Empfindung der Hauptbeschwerde der Person herausfindet, kann er mit der Methode von Dr. Sankaran das Feld der möglichen Medikamente eingrenzen und in das Pflanzen-, Tier- oder Mineralreich gelangen. Dann wird eine weitere Differenzierung hinsichtlich der jeweiligen Familie innerhalb des Reiches und des Miasmas (vererbte Veranlagungsschicht, die die Intensität, das Tempo und den Grad der Verzweiflung des Patienten als Reaktion auf die Symptome anzeigt) vorgenommen.
Eine Familie von Tieren
Die Mutter, der Vater und der Sohn, deren Fälle wir nachfolgend vorstellen, haben alle von Anfang an bis heute ein Mittel aus dem Tierreich benötigt. Die Verschreibungen waren ebenso klar wie die klinischen Reaktionen, und jedes Familienmitglied hat die Behandlung weitergeführt. Jedes Familienmitglied hat vier bis sechs Jahre lang kontinuierlich von dem einen homöopathischen Heilmittel profitiert, das periodisch gegeben wurde. Obwohl die gemeinsamen Tierthemen — Überleben, Konkurrenz, Attraktivität, Opfer und Täter, natürlicher Instinkt, Dominanz und Unterwerfung sowie Sexualität — bei jedem Fall vorliegen, sind die Fälle und Krankheitsbilder doch sehr unterschiedlich. Wir zeigen die Fallbeispiele nacheinander auf, in der Reihenfolge, in der sie zu uns gekommen sind, und präsentieren zusammengefasste Schilderungen von jedem Fall, um Ihnen den Eindruck des ‚Sprechens aus der Quelle‘ zu vermitteln.
Daniel: Ein 13-jähriger Junge mit oppositionellem Trotzverhalten
„Was Daniel beim Verlassen des Geburtskanals machte, war ein Brüllen — wie ein Löwe oder ein Flugzeug“, erklärte seine Mutter, „nicht wie man sich das Schreien eines Neugeborenen vorstellt! Als er etwa sechs Monate alt war, warteten wir in einem Restaurant. Er ließ einen lauten Schrei los — wie der Ruf der Wildnis! Als er noch ganz klein war, hatte Daniel schon so eine Wut. Er kann das süßeste, netteste, liebevollste Kind sein und dann unvermittelt sagen: ‚Halt die Klappe!‘ oder ‚diese Hundescheiße werde ich nicht fressen!‘ Er verlangt, dass er zuerst bedient wird und schreit dann vielleicht: ‚das isst du nicht!‘, weil er eine zweite Portion haben will, noch bevor alle anderen ihre erste Portion gehabt haben. Oder er baut sich ganz dicht vor dir auf und schreit dir ins Gesicht: ‚Was????‚
Eine von Daniels häufigsten Beschwerden ist, dass er den ganzen Tag noch nichts gegessen habe. ‚Ich bin hungrig. Ich bin am Verhungern!‘ Er spielt seinen Vater gegen mich aus und lässt uns beide zappeln. Daniel sagt uns immer, wir würden die Katze lieber mögen als ihn. Er ist ein ganz toller Rapper und rappt gerne aus vollem Halse. Wir nennen ihn eine ‚Primadonna‘. Er will der Größte sein …, um die meiste Aufmerksamkeit zu bekommen.“
Daniels Äußerungen, die uns seine Mutter im Laufe der Zeit wörtlich wiedergab, waren unglaublich, wenn man bedenkt, welche Homöopathie er brauchte und der Tatsache, dass er davon noch nie gehört hatte. So sagte er z. B.: „Ich muss an der Spitze der Nahrungskette stehen, … ich pflege meine Wunden, … ich bin der König meines Herrschaftsgebietes, der König der Nahrungskette.“
Ein Großteil von Daniels oppositionellem, aggressivem Verhalten drehte sich um das Essen. Um seine Mutter wieder zu zitieren: „Er dreht durch beim Essen, er ist ein Fleischfresser, dominant und diktatorisch. Er denkt, er herrscht über die ganze Stadt.“
Andere Kommentare gaben wunderbare Einblicke in die Tierwelt: „Mom, du bist nicht räuberisch genug unterwegs …, du willst dich nur in das Leben der Menschen einmischen.“
Daniel war ziemlich faul. Er saß viel lieber herum und ließ sich von anderen bedienen.
Es gab natürlich auch viele Interviews mit Daniel selbst, aber seine Mutter kannte ihn am besten und deshalb konzentrieren wir uns auf ihre Kommentare.
Das homöopathische Heilmittel, das Daniel brauchte, war Lac leoninum (Löwenmilch). Seien Sie versichert, dass das Tier bei der Gewinnung des Mittels nicht geschädigt wurde. Einige der Hauptsymptome, die bei der homöopathischen Prüfung der Löwenmilch auftraten und zu diesem Fall passen, sind: vehementes Durchsetzungsvermögen; der Wahn, ein König zu sein; jegliche Art von Dominanz wird nicht geduldet; Plötzlichkeit; Misshandlungen; schnippische Antworten; der Wahn, eine großartige Person zu sein; Egoismus; Intoleranz; Reizbarkeit angesichts von Kleinigkeiten; Streitsucht; Liebe zur Macht; Wut; grobe Sprache; Missachtung der Gefühle anderer; unverschämtes oder unzivilisiertes Verhalten.
Weitere Themen, die zu diesem Heilmittel führten, waren: ein unterschwelliges Gefühl der Schüchternheit; jede Beleidigung, die jemand wagte, wurde als Herausforderung an die eigene Position und Autorität wahrgenommen; das Gefühl, kämpfen zu müssen, um den Stolz bzw. die Gruppe nicht zu verlieren; die Wichtigkeit, ein erfolgreiches Raubtier zu sein; die Notwendigkeit, Stärke zu behaupten und Träume von verletztem Stolz.
Daniel hat in vier Jahren sechs Gaben Lac-Leoninum benötigt — in den ersten zwei Jahren als 1 M-Potenz, dann als 10 M-Potenz. Seine Eltern beschreiben einen enormen Verhaltenswandel mit jeder Einnahme des Heilmittels. „Seine Geschwister können nicht glauben, wie nett er jetzt ist!“ Das war ein psychischer und emotionaler Fall. Es gab keine physischen Symptome, auf die sich die Verordnung hätte stützen können. Wir sahen Daniel zuletzt vor zwei Monaten, als er noch einmal eine Dosis Löwenmilch brauchte.
Connie: Ein Ekzem als Hauptbeschwerde
Connie, dreiundvierzig Jahre alt, kam drei Wochen nach dem ersten Termin ihres Sohnes und klagte über ein langanhaltendes Ekzem. Der Juckreiz war schrecklich. „Nicht wie Nesselstiche, sondern eher wie ein Quallenbiss. Ich weiß nicht, warum ich das sage, denn ich bin noch nie von einer Qualle gestochen worden.“
Dies ist ein Beispiel für ‚das Sprechen aus der Quelle‘ fast vom Beginn des Interviews an. Ab diesem Punkt sprach Connie spontan aus der Sicht der Substanz. „Eine Sache [in Bezug auf den Juckreiz] an meiner Haut ist, dass ich genau wie menschlicher Gummi bin.“ Hier machte Connie eine wackelnde oder zappelnde Geste mit ihrem ganzen Körper. „Ich liebe es, im Wasser zu sein …, zu schwimmen oder zu schnorcheln. Aber ich mache mir Sorgen, dass unter Wasser etwas ist — ein Fisch vielleicht, etwas, das mich nach unten zieht, und vielleicht werde ich nicht atmen können. Da ist etwas, das mich festhält und nicht loslässt.“
Später, im ersten Interview erwähnte Connie, dass ihr unterer Rücken sie jahrelang geplagt hat. „Eine Entzündung, die mich verfolgt hat …, immer im Hintergrund lauernd.“
Gegen Ende der ersten Fallaufnahme bemerkte sie, dass sie überhaupt keine Meeresfrüchte mag — „oooh, … ich bin einfach kein Fischfreund. Ich würde sie in einem Restaurant nie bestellen … Ich salze alles, bevor ich es probiere.“
Als wir uns nach Träumen erkundigten, enthüllte Connie einen Traum, den sie in ihrer Jugend hatte, als sie einen riesigen Bleistift in der Hand hielt: „Ich konnte ihn nicht in den Griff bekommen.“
Die Homöopathie, die ihr geholfen hat, ist Medusa, die aus Quallen hergestellt wird. Wir verschrieben sie wegen ihrer brennenden, stechenden Schmerzen wie durch den Kontakt mit Quallen, Meerestier-Gesten, ihrem Ernährungsthema und der Liebe zum Wasser. Patienten, die dieses Heilmittel brauchen, können laut homöopathischer Literatur unter Brennen, Abschuppen, juckender Haut und nesselähnlichen Ausschlägen leiden. Nebenbei bemerkt, neigen sie zu einer Abneigung gegen Veränderungen und häusliche Pflichten und einer Verletzlichkeit, die sie zögern lässt, sich emotional zu zeigen. Quallen, allgemein bekannt als „Wackelpudding“, leben überall auf der Welt im Meerwasser, von den bei Ebbe trockenen Uferbereichen bis hin zum tiefen Ozean. Die Medusa ist die geleeartige, glocken- oder schirmförmige Form, mit einem Durchmesser von bis zu zwei Metern. Sie hat meist Tentakel, mit denen sie sich ernährt. Eine einzelne Medusa kann bis zu hunderte von Tentakeln mit Millionen von Stacheln haben.
Medusa ist das einzige homöopathische Heilmittel, das Connie benötigt hat. Sie hat innerhalb von vier Jahren elf Dosen erhalten, angefangen mit Medusa C 200 und endend mit Medusa 10 M. Es gab eine Zeitspanne, in der wir ihr Medusa in einer wiederholten LM-Potenz gaben, damit sie Kaffee trinken konnte, aber das Mittel hat sich immer am besten in einzelnen Hochpotenzen bewährt. Nicht nur, dass sich das Ekzem deutlich besserte, sondern auch ihre Stimmung glich sich nach jeder Heilmittelgabe merklich aus.
Curt: Chronische Depression
Daniels Vater, zweiundfünfzig Jahre alt, klagte über Depressionen und mangelnde Motivation. Er neigte zum Zögern, war ein langsamer, sich langsam bewegender Mensch. Es gab viele Projekte, die er zwar angehen wollte, die er aber nie zu verwirklichen schien. Schon zu Beginn des Interviews erzählte er, wie viel besser er sich ohne die Großstadt fühlte. Wie sein Sohn und seine Frau konnte er schnell in einen freien Assoziationsmodus wechseln, in dem er sein spezielles Heilmittel leicht finden konnte.
„In der Stadt muss dein Gehirn all diese vertikalen Linien von all den Gebäuden verarbeiten. Das erhöht den Stress, mit dem dein Gehirn zurechtkommen muss. Auf dem Land, wo die meisten Winkel schräg sind, fühle ich mich sehr viel besser. Eine Landschaft ist irgendwie natürlich.
Bäume und Wälder sind mir nicht so wichtig, ich mag diese glatten, sanften Landschaften. Sie geben mir ein Gefühl der Entspannung. Es ist erstaunlich, welchen Unterschied das macht …, diese fließenden Winkel in der Landschaft. Man kann hier schon beinahe durchatmen …, fast als ob man nicht wie in einem Käfig eingesperrt wäre. Ich bin schon lange der Meinung, dass der Mensch ein natürliches Verhalten besitzt, wie jedes andere Lebewesen auf der Erde auch. Ich bin mir aber nicht ganz sicher, wie dieses natürliche Verhalten beim Menschen aussieht. Als ich aufwuchs, wollte ich immer Bauer werden. Ich mochte die Tiere, sie sind einfach irgendwie cool.“
Als er gefragt wurde, ob er mehr über glatte, sanfte Landschaften sagen wolle, antwortete Curt: „Grün, Getreide, Rinder auf den Feldern … das Vieh, verschiedene Farben, Rassen, die ich kenne … Baby-Rinder sind wirklich süß. Ein Kalb ist wie ein Welpe.“
„Als ich klein war, malte ich in der Schule Bilder von einer Getreidelandschaft mit Bergen im Hintergrund …, Hühner oder ein Hahn auf einem Zaun, der in die Sonne krähte. Man hat mir immer vorgeworfen, ich sei langsam.“
Um das homöopathische Heilmittel, das wir im Sinn hatten, zu bestätigen, fragten wir Curt nach irgendwelchen Lebensmitteln, die er wirklich mochte oder die ihm zuwider waren, und er antwortete: „Der Rinderwahnsinn machte mir Angst. Ich war in England, als das passierte. Ich esse wirklich gerne Rindfleisch. Dann hatten wir die Sache mit dem Rinderwahnsinn hier … Ich mag Käse und Milch, aber nicht fettarm oder fettfrei. Meine Frau hat mich auf zwei Prozent runtergehandelt. Weiter bin ich nicht bereit zu gehen.“
Wir verschrieben Lac defloratum (Magermilch). Dieses Mittel kann den Menschen guttun, die mutlos, lustlos und abgeneigt sind, sich körperlich oder geistig zu betätigen. Es ist bei schweren Kopfschmerzen (Curt litt früher daran) und bei Personen angezeigt, die sich von ihrem Umfeld abgelehnt fühlen. Als wir uns nach seinen sozialen Beziehungen erkundigten, erklärte er, dass er sich nie als Teil der breiten Masse gefühlt habe … „es fühlt sich an, als ob man von den Dingen getrennt wäre.“
Diejenigen, die Lac defloratum brauchen, sind im Allgemeinen milde und sanfte Menschen – wie Curt. Interessant ist, dass er spontan seine Vorliebe für Vollmilch bemerkt hatte.
Curt brauchte über zwei Jahre hinweg sechs Gaben Lac defloratum — zunächst als 200 C dann 1 M. Das half ihm deutlich bei seinen Stimmungsschwankungen. „Ich fühle mich wie ein neuer Mensch. So gut wie jetzt habe ich seit Jahren nicht mehr geschlafen. Meine Stimmung ist viel ausgeglichener.“
Er hätte weitere homöopathische Hilfe gebraucht, hat aber die Behandlungen nicht weitergeführt, wie das in unserer Kultur bei Männern so üblich ist.
Zwei Säugetiere und eine Molluske
Jedes dieser drei Familienmitglieder brauchte zufällig ein homöopathisches Heilmittel aus dem Tierreich und konnte uns beim ersten Gespräch direkt zu der jeweils benötigten Substanz führen. Im Fall von Daniel waren es die Informationen seiner Mutter, die ihn zitiert und uns so zur Rezeptur geführt hatte. Jedem hat im Laufe der Zeit das jeweilige Heilmittel aus dem Tierreich geholfen. Es wäre faszinierend, die beiden anderen Töchter dieser Familie anzuschauen, um zu sehen, ob sie etwas brauchen bzw. was sie brauchen könnten!
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