Interview mit einer prominenten Vertreterin der Heilkräuter: Achillea millefolium, die Schafgarbe
Achillea millefolium, wir freuen uns sehr, Sie heute hier begrüßen zu dürfen. Sie sind ja eine der Berühmtheiten in der Grüne-Neune-Kräutersuppe. Wie fühlen Sie sich damit?
Tja, was soll ich sagen; berühmt ist ja relativ. Richtig ist, ich habe es seit dem 6. Jahrhundert nach Beginn unserer Zeitrechnung in jedes wichtige Kräuterbuch geschafft. Es gibt schöne Bilder von mir in uralten botanischen Büchern; mit der Ähnlichkeit hat das manchmal noch nicht so geklappt. Dass ich auf so vielen Briefmarken zu sehen bin, ist ein farbenfroher Beleg für meine weltweite Bekanntheit: Schon 1965 im damaligen Jugoslawien, Ungarn (1980), Pakistan (1996), Türkei (2001), Bosnien-Herzegowina (2008), und sogar im afrikanischen Sao Tomé und Principe (2009).
Und zu der traditionellen Kraftspeise am Gründonnerstag, der „Grünen Neune“: Ich bin tatsächlich eine der häufigsten Pflanzen unserer Umgebung und wachse überall auf sonnigen Wiesen und an Wegrändern. Meine Kraft kommt aus meinem robusten Wurzelstock, der sich zwischen den Graswurzeln Platz schafft und allen Widerständen gewachsen ist. Deswegen belebe ich auch schon früh im Jahr die Wiesen mit meinen frischen Blättern. Sie schmecken erfrischend nach milder Minze und sind noch gar nicht bitter. Wer mich so jung in eine Suppe, Salat oder einen Smoothie schneidet, spürt, wie gut meine Kraft sein Blut reinigt und den wintermüden Körper mit neuen Kräften versorgt.
Sobald die Tage länger und wärmer werden, bilde ich meine strahlend weißen Blüten aus, die ein Gesamtkunstwerk aus vielen einzelnen Sternchen auf einem kräftigen Stängel sind – „Trugdolden” nennen das die Botaniker.
Ihr gefiedertes Blattwerk hat Ihnen den Namen „Augenbraue der Venus“ eingebracht. Woher kommt das denn?
Nun ja, meine unzähligen kleinen grünen Fiederblättchen, vielleicht wirklich 1000 an der Zahl – sie gaben mir schließlich den Namen millefolium -, sind in ihrer feinen Zeichnung manch einer Augenbraue sehr ähnlich. Nur jene von Venus, der Göttin der Schönheit und der Liebe, sind genauso schön wie meine Blättchen. Zusammen mit der Energie der Venus helfe ich den Frauen bei ihren „Frauengeschichten“. Als Spezialistin bringe ich die Wärme in das Becken, löse dort Verkrampfungen und beseitige Schmerzen. Ich helfe bei Prämenstruellem Syndrom und bei zu starken Blutungen – auch in den Wechseljahren. Junge Frauen und Mädchen finden mit mir in ihren eigenen Menstruationsrhythmus und in ihre Weiblichkeit. Besonders gerne helfe ich, Myome zu verkleinern oder zu beseitigen. Ich wirke da intensiv durch Sitzbäder und Tees. Auch bei Übelkeit in der Schwangerschaft, vorzeitiger Wehentätigkeit, bei Krampfadern und Hämorrhoiden entwickle ich so meine Qualitäten. Nicht ohne Grund heißt es „Schafgarbe im Leib, tut wohl jedem Weib.“ Und stolz bin ich auf das Lob meines Kräuterfreundes Sebastian Kneipp, der sagte: „Viel Unheil bliebe den Frauen erspart, würden sie öfter zur Schafgarbe greifen.“ Ja, ich bin einfach ein richtiges Mutterkraut und verwöhne jede Gebärmutter.
Einer Ihrer Spitznamen ist „Heil aller Welt“ – das spricht ja auch für wichtige innere Werte.
Oh ja, ich darf von mir sagen, dass ich eine sehr alte, heutzutage gut erforschte Heilpflanze bin. Meine Stängel, Blätter und Blüten können Sie in jeder Lebenslage nutzen. Ich helfe bei fast jedem Problem. Meine vielen Namen berichten davon.
Garbe ist ein altes deutsches Wort für Gesundmacher. Ich machte viele Schafe gesund, bei denen der Hundebandwurm zur Drehkrankheit geführt hatte. Als Wurmsame vertrieb ich die Spulwürmer schon aus dem Darm der Germanen.
Die Bauern leisteten in allen Zeiten Schwerstarbeit, besonders zur Erntezeit tranken sie meinen Tee sehr gerne – und damit überstand ihr Rücken das viele Bücken viel besser. Herrgottsrückenkraut nannten sie mich dankbar. Und heutzutage – wer klagt da nicht über „Rücken“ – die alle sollten ihre Hände oder Füße regelmäßig in meinem Absud baden – das wird auch den Rücken stärken.
Sie tragen einen großen Namen, wie sind Sie denn dazu gekommen?
Für Botaniker heiße ich Achillea millefolium. „Achilleus“ bedeutet „Schmerzvertreiber“. Der griechische Held Achilles heilte vor mehr als 3000 Jahren mit mir die Wunden seiner Krieger auf den Schlachtfeldern des Trojanischen Krieges. Auch die Römer schätzten später meine Kräfte und ich begleitete sie vor knapp 2000 Jahren bei ihren Schlachten und ihrem strapaziösen Weg über die Alpen. Ihr Arzt Dioscurides gab mir den einprägsamen Namen Soldatenkraut. Selbst noch im zweiten Weltkrieg waren meine Fähigkeiten in den Lazaretten sehr geschätzt. Heute helfe ich als Bereit gestelltes Wundkraut allen Outdoor-Freunden, Spaziergängern und Wanderern bei spontanen, kleinen Verletzungen vom Wegesrand aus. Sie zerquetschen einige von meinen schönen frischen Blättchen in der Handfläche und streichen die grüne „Matsche“ sorgfältig auf die verletzte Stelle. Das hilft sofort. Genauso bin ich da, wenn sich jemand bei der Küchenarbeit oder ähnlich gefährlichen Beschäftigungen mit einem scharfen Messer geschnitten hat. Viele haben Bedenken, die angequetschten Blätter direkt auf die Wunde zu legen, weil das den heutigen Hygienevorstellungen widerspricht. Doch diese Bedenken kann ich zerstreuen, schließlich stecke ich auch voller ätherischem Öl und verfüge über nahezu antibiotische Fähigkeiten. Die lassen die Wunde schnell und narbenfrei verheilen. Wer trotzdem skeptisch bleibt, kann ja einen starken Tee aus meinem Kraut kochen und damit Umschläge oder Kompressen machen. Das hilft übrigens auch bei Ekzemen und leichten Hautentzündungen.
Ich habe gehört, dass auch Hildegard von Bingen Sie geschätzt hat.
Namen wie Zimmermannskraut, Josefskraut oder gar Beilhiebkraut sprechen von größeren Verletzungen, bei denen ich genauso gut – und gerne – meine blutstillende und heilende Wirkung entfalte. Diese kluge Äbtissin schrieb in ihrem Buch „Physica“ vor fast 900 Jahren eine sehr genaue Anleitung zur Wundbehandlung: „Wenn ein Mensch durch einen Unfall verwundet ist, soll man, nach Auswaschen der Wunde mit Wein (Wundalkohol), Schafgarbe leicht in Wasser kochen und das Wasser etwas ausdrücken und sie so noch warm zart über den Verband binden, der auf der Wunde liegt, und so nimmt es der Wunde das Eitern und Geschwürigwerden und heilt die Wunde… Wer eine innerliche Verletzung erlitt, so dass er geprügelt oder innerlich verletzt wurde, der pulvere Schafgarbe und trinke dieses Pulver in warmem Wasser.“ Das ist immer noch aktuell. Heute rät der große Hildegard-Arzt Wighard Strehlow (er machte die Hildegard-Medizin in der Gegenwart wieder bekannt), nach jeder Operation, die ja auch eine innere Verletzung ist, täglich 1 Liter Schafgarbentee (3 EL Schafgarbenpulver mit 1 Liter Wasser 2 Min. lang kochen) zu trinken.
Und wie sieht es in anderen Ländern aus? Kennt man Sie dort auch?
Oh ja. Die Österreicher nennen mich Bauchwehkraut. Sie wissen, dass ich mit meinen Bitterstoffen Krämpfe im Magen-Darm-Trakt löse und die Verdauung ankurbele. Mein ätherisches Öl (das übrigens dem der Kamille – sie ist meine Verwandte – sehr ähnlich ist) und meine Gerbstoffe beseitigen mögliche Entzündungen und entmachten sogar – und das ist heute ganz aktuell – den modernen Magenpeiniger Helicobacter pylori.
Einen besonders schönen Namen gaben mir die Franzosen. Sie nennen mich en rêve – im Traum. Die Kinder legen sich zum Einschlafen ein Schafgarbenblatt auf jedes Auge, um schöne Träume anzulocken. Junge Frauen hofften übrigens, so im Traum ihren späteren Geliebten zu sehen.
Bei meiner Recherche über Sie habe ich gelesen, dass Sie auch leberschützend wirken?
Nun, die Leber ist unser innerer Alchemist, der alle Schadstoffe und Umweltgifte wieder aus dem Körper herausschaffen muss. Bei der heutigen Belastung kann sie meine Unterstützung sehr gut brauchen. Ich rege die Produktion von Galleflüssigkeit und damit die Reinigung an. Ich beseitige auch Viren, Bakterien und Pilze, die im Körper nichts zu suchen haben. Das stärkt Niere und Blase gleich mit.
Und damit Sie heute Nacht gut schlafen, verrate ich Ihnen zum Schluss auch noch von meinen Fähigkeiten, die Nerven zu beruhigen, Wetterfühligkeit zu beseitigen und für einen erquickenden Schlaf zu sorgen. Ein Tässchen am Abend genügt.
Liebe Achillea millefolium, vielen Dank für dieses Gespräch!
Zur Abrundung des ganzen Bildes hier ein Ausschnitt aus den Kräuter-News:
Schafgarbenkraft
Wer sich eine Auszeit gönnt an Plätzen, wo viele Schafgarbenpflanzen wachsen, wird vielleicht spüren, wie gut das tut. Diese Pflanze bringt neue Kraft und richtet mit Leichtigkeit die Wirbelsäule auf. Neukraft wird sie seit Jahrhunderten genannt. In der Schafgarbe ist viel Harmonie zu finden. Nicht nur, dass alte Kräuterastrologen in dem blutstillenden Kraut den Einfluss des Planeten Mars sahen, sie entdeckten in der starken Heilkraft auch die Venus, die alle mit ihrer Liebe heilte. Die beiden Planetengötter bekamen im Laufe ihres gemeinsamen Lebens zunächst vier streitbare Söhne und schließlich eine Tochter, die sie Harmonia nannten. Diese Harmonie ist in der Schafgarbe verkörpert. Sie verbindet starke Wurzelausläufer, einen zähen Stängel mit sehr zarten Blättern und einer leuchtend weißen Blüte zu einem harmonischen Ganzen. Damit hilft sie jedem, der es möchte, den goldenen Mittelweg zwischen Höhen und Tiefen zu finden. Sie beendet das kräftezehrende „entweder – oder“ und macht das „sowohl – als auch“ möglich. Sie erweitert die eingefahrene Perspektive so, dass neue Blickwinkel zu neuen Einsichten führen. Urvertrauen sickert langsam durch. Und sie vermittelt die Kraft der Beharrlichkeit, die sich auch in ihrem Wachstum ausdrückt. Ihre Zähigkeit ist besonders gut im Winter zu erkennen, wenn die braunen und durchgetrockneten Blütenstängel über die kalte Schneedecke hinausragen. Aus diesen harten Schafgarbenstängeln schneiden die Chinesen seit 3000 Jahren die fünfzig Stäbe für ihr I-Ging-Orakel. Sie sind überzeugt davon, dass diese Stäbchen sie in die Zukunft blicken lassen, weil sie eine natürliche Verbindung zwischen dem Menschen und seinem Schicksal herstellen können. Die Schafgarbe macht allen Mut, sich selbst voller Freude zu leben und zu entfalten. Dieses Ja-Sagen „wärmt“ von innen heraus.
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Tel: 07 21/476 396 52
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