Gebot 20:
Lehren ist Lernen
Der Herr sagt: „Lehre, was du gelernt hast.” Lehren ist Lernen. Wenn wir lehren, lernen wir auch. Wenn wir regelmäßig lehren, lernen wir regelmäßig. Zuerst lernen wir, dass wir nicht gut lehren können, sofern wir das, was wir gelernt haben und nun lehren möchten, nicht in die Praxis umgesetzt haben. Als Zweites lernen wir, wie viel wir gelernt haben, um es zu lehren und wie viel wir noch zu lernen haben. Als Drittes empfangen wir frische Wissensimpulse, wenn wir lehren. Oft verhilft das Unterrichten zu inneren Offenbarungen. Somit ist Lehren eine Methode des Lernens und dabei lernen wir dreifach.
Um es zu wiederholen: Wenn wir lehren, dann lernen wir, sofern uns ganz klar ist, was wir gelernt haben. Solche Klarheit kommt aus der praktischen Anwendung. Daher gibt uns das Lehren den Impuls zur Anwendung. Während wir unterrichten, stellen uns die Zuhörer Fragen. Unsere Fähigkeit oder Unfähigkeit, Fragen zu beantworten, gibt uns die Möglichkeit, unser Gelerntes zu erkennen. Manchmal werden dadurch auch weitere Dimensionen zu dem, was wir gelernt haben, hinzugefügt. Auf diese Weise erweitert sich unser Verstehen. Dies ist die zweite Art des Lernens durch Lehren. Drittens beginnt jemand uns aus den Tiefen unseres Wesens zu lehren, wenn wir andere lehren. Somit werden wir unterrichtet, während wir unterrichten. Dies ist der erhabenste Teil des Lehrens. Wir unterrichten die Zuhörer, die vor uns sitzen, und wir selbst hören dem inneren Lehrer zu. Dann erkennen wir die wahre Bedeutung des Ausspruchs ‘Lehren ist Lernen’.
Swâdhyâya Pravachana Bhyam Na Pramâdhi Tavyam, heißt es in den Veden. Das bedeutet: Weiche nicht vom Selbst-Studium und Lehren ab. Was wir selbst studieren, das sollten wir andere lehren. Von dieser Gewohnheit sollten wir nicht abweichen, denn dadurch festigen wir mehr und mehr, was wir studiert haben. So bleibt es eher bei uns. Es sickert in unsere Persönlichkeit ein und beeinflusst unser Denken. Solche Wirkungen der Weisheit auf das Denken sind sehr hilfreich. Wenn wir studieren, befinden wir uns im höheren mentalen Bewusstseinszustand. Wenn wir uns etwas vorstellen, kontemplieren oder studieren, gelangen wir in jene höheren Schichten des Denkvermögens, die in der Nähe von Buddhi sind. Sobald wir Weisheit unterrichten, sickert sie durch alle Schichten des Denkvermögens und bringt sich durch die Stimme zum Ausdruck. Auf diese Weise sickert die Weisheit sogar bis zur Kehle und zur Zunge hindurch. Die Weisheit ist magnetisch, und deshalb empfängt ein Teil des Körpers die magnetische Berührung der Weisheit. Auf diese Weise festigt und vertieft sich die Weisheit durch das Lehren. Sie bleibt bei uns und verflüchtigt sich nicht. Von Zeit zu Zeit bringt sie sich in Erinnerung, wenn sie bei uns ist. Darin liegt der Gewinn des Lehrens.
Häufig vergisst man wieder, was man studiert hat. Noch viel häufiger steht einem das, was man studiert hat, nicht zur Verfügung, wenn man es zu einer bestimmten Gelegenheit braucht. Was ist Sinn und Zweck der Weisheit? Wenn das Studieren der Weisheit uns nicht hilft, besser zu handeln, besser zu sprechen und unser Leben besser zu organisieren – welchen Nutzen hat sie dann? Die Weisheit ist das Buch des Lebens. Sie ist nicht ein sorgfältig gedrucktes Buch, das schön gebunden an einem guten Platz in einem teuren Bücherregal steht. In den Häusern reicher Leute nehmen schön anzusehende Bücher mit kostbarem Einband und goldenen Titeln den Platz in teuren Bücherregalen ein. Weder den Bücherregalen noch den Leuten, denen sie gehören, nützt die darin enthaltene Weisheit etwas. Nach gewisser Zeit werden die Bücher von den Bücherwürmern aufgefressen. Welch hartes Stück Arbeit, um Bücherwürmer zu füttern!
Sogar unter den Menschen gibt es Bücherwürmer. Mit großer Geschwindigkeit verschlingen sie ein Buch nach dem anderen. Sie lesen ein Buch nach dem anderen. Sie bilden Gruppen, um Bücher zu lesen, aber sie setzen das Gelesene nicht in die Praxis um. Ihnen ist nicht bewusst, dass die Weisheit angewendet werden muss. Aber sie fühlen sich großartig, weil sie einige Bücher gelesen haben. Sie wissen nichts, obwohl sie behaupten, die Bücher gelesen zu haben. Namen, die in den Büchern vorkommen, werden von ihnen erwähnt, und sie jonglieren auch mit Begriffen herum, die in den Büchern vorkommen. So reden und reden sie immer nur und gelangen nie zum Kern der Sache. Weder sind sie im normalen Leben noch im göttlichen Leben, sondern ihr Leben spielt sich in den Büchern ab. Solche Bücherwürmer können weder sich selbst noch der Gesellschaft helfen. Nachdem sie nächtelang mit Büchern zugebracht haben, landen sie in Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung.
Weisheit ist zum Anwenden
Weisheit ist zum Anwenden. Die Bücher geben Hinweise und Anleitungen, wie man die Weisheit in die Praxis umsetzen kann. Sie muss im Leben praktisch angewendet werden. Dadurch wird die Wahrheit der Weisheit erprobt und erkannt. Wenn wir die Erfahrungen, die wir mit der Weisheit gemacht haben, aussprechen, entsteht daraus eine lebendige Lehre. Sie spricht die Seelen an, sie spricht das Bewusstsein der Zuhörer an. Ist die Lehre nicht lebendig, dann bleibt dies aus. Manche Lehrer sind in ihrem Unterricht sehr trocken, und die Leute laufen aus Angst vor ihrer Lehre weg. Nur wenige Lehrer sind magnetisch. Über Jahrzehnte möchten ihre Zuhörer ihnen immer wieder zuhören. Der Unterschied zwischen beiden Gruppen ist: Ein Lehrer, dessen Unterricht trocken ist, hat Bücher studiert, ohne die entsprechenden praktischen Erfahrungen gemacht zu haben. Die magnetischen Lehrer haben die Bücher studiert und das Gelesene in jedem Lebensaspekt gelebt. Sie sind die wahren Lehrer. Sie lernen, wenden das Gelernte an, demonstrieren es in ihrem Leben und lehren Weisheit. Oftmals ist die Demonstration ihr Lehren. Durch Demonstration lehren sie viel besser als durch verbalen Unterricht. Durch seine Lebensweise, in der die Weisheit demonstriert wird, zeigt ein Lehrer den Weg noch viel eindrucksvoller.
Unterrichte Personen, die von dir unterrichtet werden möchten
Wen unterrichtest du? Unterrichte jene Personen, die von dir unterrichtet werden möchten. Unterrichte nicht, wenn du nicht darum gebeten wirst. Unterrichte niemanden, der dir nicht zuhören möchte. Du solltest in dir nicht das Verlangen zu lehren haben, und du solltest die Bereitschaft haben zu sprechen, wenn jemand dich ernsthaft und aufrichtig darum bittet. Viele Leute verhalten sich kindisch, indem sie die Position eines Lehrers annehmen und zu lehren beginnen, ohne im Geringsten zu begreifen, dass die Zuhörer gar nichts von ihnen hören wollen. Solche Lehrer sind Betrüger, und es gibt viele derartige Lehrer. Für sie ist das Lehren ein Beruf, ein Mittel, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie lassen sich das Lehren bezahlen und leben vom Unterrichten. Sie werben für sich und vermarkten ihren Namen und ihre Form. Aber Weisheit kann nicht verkauft werden. Sie ist keine Handelsware, die auf Basaren verkauft werden kann, sondern sie muss mit äußerst liebevoller Fürsorge und Verantwortung übermittelt werden. Nur jenen Personen, die sehnlich danach suchen, soll sie mitgeteilt werden. Die wahren Lehrer legen sich nicht auf das Lehren fest. Sie leben, sie veranschaulichen und unterrichten jene, die unterrichtet werden wollen, um sich selbst umwandeln zu können. Wahre Lehrer fühlen sich mit und ohne Unterricht wohl. Zu jeder Zeit sind sie mit sich im Reinen.
Der Herr sagt den Schülern, dass sie lehren sollen, was sie aus Büchern und der Praxis gelernt haben. Zu Anfang können wir innerhalb einer kleinen Gruppe, die aus gleichgesinnten Familienmitgliedern, Freunden oder Verwandten besteht, einfach mitteilen, was wir studiert und praktisch probiert haben. Nur die Gleichgesinnten sollten für solches Teilhaben an den Erfahrungen durch Studium und Praxis in Betracht gezogen werden. Falls wir niemanden haben, der uns zuhört, sollten wir es einem Baum, einem Berg oder einem Fluss erzählen. Wir sollten einfach üben zu lehren. Es ist hilfreich, weil das Gelernte sich in allen Schichten des Denkvermögens, in den feinstofflichen Sinnesebenen und im Körper ausbreitet. Es hilft zu behalten, was wir studiert und praktiziert haben, und es vertieft unsere Erfahrungen. So verhindern wir, dass sich das Erfahrene wieder verflüchtigt.
Wir sollten darauf achten, dass wir durch unser Lehren nichts und niemandem Schaden zufügen.
Weitere Informationen finden Sie in den Büchern des Autors
„Saraswathi – Das Wort“, „Klang – Der Schlüssel und seine Anwendung“, „Mantren – Ihre Bedeutung und Praxis“.
Kommentare sind geschlossen.