Gebot 18:
Befreie das Denken von den Dualitäten
Dualität steht im Gegensatz zur Einheit. Yoga ist ein Zustand der Einheit. Yoga-Praxis dient dazu, sich selbst in der Einheit zu etablieren und mit der Verschiedenartigkeit umzugehen. Es gibt nur ein Bewusstsein. Wir können das Bewusstsein nicht unter Spaltung leiden lassen. Alle Spaltungen sind eine Quelle des Leidens. Generell ist Teilung nicht vom Leiden zu trennen. Es gibt nur eine Existenz, nur ein Gewahrsein bzw. Bewusstsein. Es gibt nur ein Leben. Es gibt nur ein Licht. Es gibt nur ein Wissen. Es gibt nur eine Aktivität als Prinzip. Die Vielfalt liegt in der Aktivität. Gedanken, Worte und Handlungen machen zusammen die Aktivität aus. Aktivität fließt auf dem Leben, Licht, Wissen und Bewusstsein, und sie alle fließen auf der Existenz. Nur die Aktivität ist vielfältig, aber nicht die erhabenen Stadien der Existenz, des Bewusstseins, des Lichts, des Wissens und des Lebens. Aktivität kann man mit dem Schwanz des himmlischen Hundes vergleichen. Der Hund steht fest und sicher, aber sein Schwanz wedelt nach links und rechts, nach oben und unten. Das wesentliche Bewusstsein des Hundes befindet sich im Hund. Nur ein kleiner Teil des Hundes existiert im Schwanz. Wir sollten verstehen, dass es sich mit dem Menschen essentiell wie mit dem Hund im oben genannten Beispiel verhält. Seine Aktivität ist wie der Hundeschwanz. Der Schwanz kann nicht über den Zustand des Hundes entscheiden. Die Tätigkeit des Menschen sollte ihn nicht beeinflussen. Stattdessen sollte er auf seine Aktivität einwirken. Dafür sollte der Mensch seinen richtigen Platz in seinem Inneren gefunden haben. Sollte er im Schwanz oder im substantiellen Teil des Körpers verweilen? Ein Hund kann sogar ohne Schwanz leben, aber der Schwanz kann nicht ohne den Hund existieren. Jeder Mensch muss sehen, ob er seinen Wohnort im Schwanz oder in seinem wesentlichen Bestandteil haben möchte. Wer in der Dualität lebt, gehört zu jenen, die im Anhängsel leben.
Im Yoga lernen wir, dass der Mensch normalerweise im Mûlâdhâra wohnt. Das Mûlâdhâra ist die Schwanzspitze des Menschen, der im zerebrospinalen System seinen Wohnsitz hat. Es heißt, dass der innere Mensch im zerebrospinalen System wohnt, wobei der zerebrale Teil den Kopf, der Rücken mit der Wirbelsäule den Körper und die Spitze der Wirbelsäule den Schwanz bildet. Wenn er sich in der Schwanzspitze aufhält, leidet er selbstverständlich unter der veränderlichen Natur. Er durchlebt Höhen und Tiefen, Extremausschläge nach links und rechts – genauso wie der Schwanz des Hundes. Der Mensch muss erkennen, dass er sich nicht notwendigerweise in der Schwanzspitze aufhalten muss. Genauso gut kann er sich in den substantiellen Teil des Körpers begeben, in dem er viel Stabilität, Behaglichkeit, Wissen, Liebe, Freude und Glückseligkeit erlebt. Er sollte wissen, dass er mehr Wohlbefinden und Glückseligkeit erfährt, wenn er sich in den höheren Räumen des siebenfältigen Körpers aufhält. Das Denkvermögen, die Emotionen und die dicht-physische Ebene bilden die drei unteren Räume. Sie sind begrenzt, einengend und bringen ihn fast zum Ersticken, weil es in ihnen nicht genügend Leben und Licht gibt. Infolge der Dualität leiden die Menschen sehr, solange sie in den unteren Räumen des Körpers bleiben. Wenn sie lernen, sich über den drei unteren Räumen aufzuhalten, erfahren sie das Leben jenseits der Veränderlichkeit. In den oberen Räumen ist für Stabilität und Wohlergehen gesorgt. Wenn sie sich nicht darum bemühen, in die oberen Räume zu gelangen, bleiben alle Gedanken an Glück, Frieden, Wohlergehen und Stabilität eine Illusion.
Die vierfache Unterteilung
Man braucht dieses Grundwissen, um nicht unter Teilungen in links und rechts, oben und unten zu leiden. Wer auf der mentalen oder intellektuellen Ebene lebt, leidet im Allgemeinen an einer vierfachen Unterteilung, die in ihm vorhanden ist. Er sieht die Welt auf vierfache Weise, weil er selbst in vier Teile zerbrochen ist. Dieser Gedanke der weltlichen Lebensart wird von dem gekreuzigten Christus symbolisiert. Jeder Mensch ist ein gekreuzigter himmlischer Mensch. Solange wir die Welt in Gut und Böse, in eine hohe und niedere Gesellschaftsschicht unterteilen, erleiden wir diese Kreuzigung. Daher sind Intellektuelle, die in dieser vierfachen Unterteilung leben, auch nicht transzendent. Für die Menschheit ist es erforderlich, mit den Hilfsmitteln der Weisheit über diese Kreuzigung hinauszugelangen.
Stehe über den Dualitäten
Solange der Mensch im Denken lebt, bleibt er in der sich verändernden Welt. Wenn er in Buddhi aufsteigt, schwebt er über der unbeständigen Welt. Der Unterschied ist der gleiche wie zwischen zwei Personen, von denen die eine von der Strömung eines Flusses mitgerissen wird und die andere sich in einem Boot auf dem Fluss fortbewegt. Die Person im Fluss wird von der Strömung angegriffen, während die andere im Boot nicht so sehr beeinträchtigt wird. Und wer sich auf einem großen Schiff befindet, nimmt von der Strömung kaum etwas wahr. Es hängt von unserem jeweiligen Platz ab, wie sich die Strömung auf uns auswirkt. In einem Luftkissenboot spüren wir so gut wie keine Wirkung. Wenn wir über die Strömung hinwegsausen, bleiben wir von ihr unberührt. Folglich hat die Welt keine starke Wirkung auf den Menschen, wenn er die höheren Stadien des Gewahrseins in seinem Inneren erreicht und sich in ihnen etabliert. Im Gegenteil, dann kann er die Welt beeinflussen. „Wirke auf die Welt ein, aber lass dich nicht beeinflussen“, lautet eine okkulte Anweisung. Die Lehren von Sanat Kumâra empfehlen, dass die Schüler täglich lernen sollten, über der Dualität und über den scheinbar gegensätzlichen Strömungen der Welt zu stehen. Diese Übung führt sie dazu, im Yoga-Bewusstsein zu leben.
Lebe im Zentrum
Wenn wir im yogischen Bewusstsein leben, sehen wir den Terror und den Krieg gegen den Terror als zwei Gegenkräfte, die die gleiche Natur haben. Ganz ähnlich betrachten wir die zwei Gegenkräfte, die zwischen Gut und Böse arbeiten, und wir erkennen die Kraft der Natur auch in der Hitze und Kälte. Wenn es heiß ist, klagen wir normalerweise, dass es zu heiß ist. Wenn es kalt ist, klagen wir, dass es zu kalt ist. Hitze und Kälte kommen regelmäßig zu uns. Wenn wir jedoch im Mittelpunkt bleiben, können uns weder Hitze noch Kälte etwas anhaben. Wenn wir zwischen rechts und links bleiben, sind wir bereits im Zentrum. Wenn wir zwischen oben und unten bleiben, befinden wir uns wieder im Zentrum. „Bleibe da, wo der Äquator und die Tagundnachtgleiche aufeinander treffen“, lautet eine weitere okkulte Anweisung. An diesem Platz sind wir weder oben noch unten, weder links noch rechts. Der Nordpol verteilt, der Südpol empfängt. Um stabil zu bleiben, sollten wir verteilen und empfangen. Genauso hat der längste Tag eine Tendenz zum Geist und die längste Nacht eine Tendenz zur Materie. Wir sollten bei der Tagundnachtgleiche bleiben, wo Materie und Geist in vollkommener Harmonie sind. Dort verweilen die Yogîs. Deshalb werden die Tagundnachtgleiche und der Äquator als Energien bezeichnet, denen man höchste Verehrung entgegenbringen sollte. Es sind die vier wichtigsten Tage im Jahr. Sie werden die verehrungswürdigsten Meister genannt, die die vier Tore zum Tempel bewachen.
Gut und Schlecht existieren nicht
Schönheit ist der Status des yogischen Bewusstseins. Mit einem Yogî vertragen sich nicht nur die Engel, sondern auch die diabolischen Wesen. Denn ein yogisches Bewusstsein findet niemanden unsympathisch. Da ein Yogî mit niemandem im Streit liegt, steht auch niemand in seiner Umgebung im Widerspruch zu ihm. Alle finden in ihm Trost und Freude. Dies ist der wahre Status von Maitreya. Maitreya ist ein Bewusstseinsstatus. Wenn sich jemand zu allen freundschaftlich verhält und in seinem Inneren keine Feindschaft hegt, sind ihm alle Wesen freundschaftlich verbunden. Auf diese Weise bekundeten die Söhne des Willens das wahre yogische Bewusstsein. Es entsteht aus ihrer Verbindung mit dem Bewusstsein in allem, aber nicht mit den Äußerlichkeiten.
Ich möchte ein paar einfache Beispiele aus dem täglichen Leben anführen. In der kalten Jahreszeit reden die Leute zu viel über die Kälte. Für einen Yogî macht das keinen Sinn, denn er weiß, dass Winter ist und dass es in dieser Jahreszeit kalt ist. Folglich sollte man klug genug sein, um sich vor der Kälte zu schützen. Egal wie lange wir über die Kälte diskutieren, dies wird uns nicht vor der Kälte bewahren. Warme Kleidung ist eine gute Reaktion. Genauso sprechen die Leute über die sommerliche Hitze, doch es ist klüger, seinen Körper vor der Hitze zu schützen. Diskussionen nützen nichts. Wenn wir unsere Gedanken zu sehr auf die Kälte oder die Hitze ausrichten, laden wir Kälte und Hitze ein. Energie folgt dem Gedanken. Unsere Gedanken an die Kälte bringen uns Kälte, und unsere Gedanken an die Hitze laden den Sonnenstich ein. Wenn wir an Krankheit denken, wird Krankheit eingeladen, und wenn wir über die menschliche Ignoranz nachdenken, werden wir näher zur Ignoranz hingezogen. Auf diese Weise ziehen die Menschen durch ihre intensiven, unaufhörlichen Gedanken jene Dinge zu sich heran, vor denen sie sich fürchten und die sie nicht möchten. Gegenüber allen Gedanken und Aktivitäten muss die Weisheit überwiegen.
Die Leute sprechen von der Grausamkeit der Natur. Wenn sich Wirbelstürme, Tornados, Tsunamis, schwere Regenfälle und Überflutungen ereignen und Menschen dadurch ums Leben kommen, klagt man über die Natur. Die Weisheit beklagt sich nicht – aus dem einfachen Grund: Vom Standpunkt der Weisheit aus werden solche Ereignisse als Korrekturen der Natur betrachtet. Die Natur hat ihr Programm, und innerhalb der Natur hat der Mensch sein Programm. Verglichen mit der Natur ist der Mensch relativ unbedeutend und klein. Er muss lernen, sich den Veränderungen der Natur anzupassen statt sich darüber zu beklagen. Die Laus auf dem Kopf einer Person kann sich nicht über die Kopfbewegungen beklagen. Kann die Laus die Person fragen: „Warum bewegst du tagsüber so oft deinen Kopf hin und her? Mich stört das.” Genauso seltsam ist die Klage des Menschen über die Natur: „Schade! Es regnet.” Regen ist etwas Natürliches. Vielleicht regnet es, wenn wir zu Hause eine besondere Feier veranstalten, die im Freien stattfinden soll. Manchmal regnet es, wenn ein Kricket-Spiel auf dem Programm steht. Dann beklagen sich die Kommentatoren über den Regen und zeigen damit ihre mangelnde Weisheit. Menschen tun viele unwürdige Dinge. Die Natur beklagt sich nicht. Regen gehört zur Natur, und der zivilisierte Mensch gibt seine Kommentare dazu. So tief ist seine Unwissenheit.
Das Wetter ändert sich ständig. Deshalb wird es Wetter genannt. Auch die Welt verändert sich. Sie ändert sich ständig, egal ob wir es bemerken oder nicht. Im Sanskrit nennt man sie zutreffend Jagat, das bedeutet ‚die sich ständig verändernde Natur‘. Es bedeutet auch: ,Sie bewegt sich durch die Veränderung, sie verändert sich durch die Bewegung‘. Bewegung verändert sie, Veränderungen bewegen sie. Solche Schönheit enthält das Verständnis dieses Wortes. In einer stets veränderlichen Welt sind Festlegungen von ‚hoch‘ und ‚tief‘, ‚gut‘ und ’schlecht‘ so, als wollte man auf der Oberfläche fließender Gewässer Häuser bauen.
Die Welt verändert sich auf der Grundlage der Dualität. Eines wird zu Zweien, und die Zwei reisen in zwei entgegen gesetzte Richtungen, um verschiedene Existenzebenen aufzubauen. Das Eine wird Geist und Materie. Der Geist nimmt einen Weg und die Materie geht einen anderen Weg. Der Geist unterstützt die Materie, die Materie unterstützt den Geist. Auf der Grundlage des Geistes bilden sich materielle Formen durch alle dichteren Abstufungen der Materie, und der Geist kommt durch alle diese Abstufungen herab. Daneben erfolgt ein zweiter Abstieg des Menschen. Der erste Abstieg des Geistes geschieht in Zusammenarbeit mit der Natur, um die acht Zustände der Materie aufzubauen. Dadurch werden acht Bewusstseinsstadien erschaffen. Die ursprüngliche Natur ist die Grundlage der acht Zustände der Natur. Sie selbst ist das neunte und der Geist ist das zehnte Stadium. Dann entwickelt sich die Materie mit Hilfe des Geistes, um Pflanzen-, Tier- und Menschenformen entstehen zu lassen. Ein zweites Mal kommt der Geist in drei Schritten herab, um im Menschen zu wohnen. Dies führt zum Eigenbewusstsein. Wenn man die spirituelle Seite des Menschen bezeichnen möchte, ist der richtige Begriff ‚mankind‘ = Menschlichkeit, und wenn man sich auf das Materie-Bewusstsein des Menschen bezieht, ist ‚humanity‘ = Menschheit der richtige Begriff. ‚Humus‘ bezeichnet im Lateinischen den Erdboden und den Schlamm oder den Lehm. ‚Humus-Mensch‘ bezeichnet den weltlichen Menschen. Der Körper und das Selbst-Bewusstsein müssen sich miteinander verbinden und zu einer Einheit verschmelzen. Wenn die Zwei eins geworden sind, nennt man den betreffenden Menschen einen Yogî. In ihm gibt es keine Dualitäten. Er ist genauso bei der Materie wie bei dem Geist und umgekehrt, und er bevorzugt keines von beiden.
Lord Sanat Kumâra bekundet dies in reichem Maße durch sein Dasein auf dieser Erde. Daher ist er am meisten geeignet, um uns diese Anweisung zu geben: „Befreie das Denken von den Dualitäten.“ Dann verbinden sich das Denken und Buddhi und bilden das Licht der Seele.
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