Der Vorgang des Sterbens
Den Tod verstehen
„Die Erlösung vom Tode kommt zustande durch ein richtiges Verständnis für die mystische Erfahrung, die wir Tod nennen…. Wir wollen zuerst diesen geheimnisvollen Vorgang erklären, dem alle Formen unterworfen sind und der oft nur als das gefürchtete Ende angesehen wird, – gefürchtet, weil nicht verstanden. Das Denken des Menschen ist so wenig entwickelt, dass Furcht vor dem Unbekannten, Entsetzen vor dem Ungewohnten und das Anklammern an die Form eine Situation geschaffen haben, aufgrund derer eines der wohltätigsten Ereignisse im Lebenskreislauf eines inkarnierten Menschen als etwas betrachtet wird, das vermieden und so lange als möglich hinausgeschoben werden sollte.
Der Tod ist – wenn wir es nur erkennen könnten – eines der Dinge, die wir am häufigsten erleben. Wir sind schon viele Male gestorben und werden auch immer wieder sterben. Der Tod ist hauptsächlich eine Bewusstseinsangelegenheit. In dem einen Augenblick sind wir bewusst auf der physischen Ebene, und einen Augenblick später haben wir uns auf eine andere Ebene zurückgezogen und sind dort aktiv bewusst. Nur solange, als unser Bewusstsein sich mit dem Formaspekt identifiziert, wird der Tod für uns seinen alten Schrecken behalten. Aber sobald wir uns als Seelen erkennen und darauf kommen, dass wir fähig sind, nach Belieben unser Bewusstsein oder unseren Gewahrseinssinn in irgendeiner Form auf jeder Ebene oder in jeder Richtung innerhalb der Formgestalt Gottes zu konzentrieren, werden wir keinen Tod mehr kennen.
Tod als katastrophales Ende?
Für den Durchschnittsmenschen ist der Tod der katastrophale Schluss, der die Beendigung aller menschlichen Beziehungen, das Aufhören aller physischen Tätigkeit, die Trennung von allen Zeichen der Liebe und der Zuneigung, und den (unfreiwillig und unter Protest vollzogenen) Übergang in das Unbekannte und Gefürchtete mit sich bringt… Es ist, als ob man ein erleuchtetes, warmes, freundliches und vertrautes Zimmer, wo unsere Lieben versammelt sind, verlassen und in die kalte, dunkle Nacht hinausgehen muss, allein und von Grausen erfasst; man hofft auf das Beste, weiß aber nichts Sicheres.
Tod und Schlaf
Die Menschen vergessen jedoch gern, dass wir jede Nacht in den Stunden unseres Schlafes für die physische Ebene sterben und woanders lebendig und tätig sind. Sie vergessen, dass sie schon eine Gewandtheit im Verlassen des physischen Körpers erreicht haben, und nur, weil sie noch keine Rückerinnerung an dieses Hinausgehen und an die darauffolgende Zwischenzeit tätigen Lebens in das physische Gehirnbewusstsein mitbringen können, ist es ihnen unmöglich, Tod und Schlaf miteinander in Beziehung zu bringen. Letztendlich ist der Tod nur eine längere Zwischenzeit in dem Leben der Tätigkeit auf der physischen Ebene; man ist nur für einen längeren Zeitraum „verreist“.
Aber der Vorgang des täglichen Schlafengehens und der Vorgang des gelegentlichen Sterbens sind identisch, mit dem einen Unterschied, dass im Schlaf der magnetische Faden oder Energiestrom, an dem die Lebenskräfte entlanglaufen, unversehrt bleibt und damit der Rückweg in den Körper gegeben ist. lm Tode ist dieser Lebensfaden gebrochen oder abgerissen… Wenn das geschehen ist, kann die bewusste Wesenheit in den grob-physischen Körper nicht zurückkehren, und dieser Körper, dem nun das Zusammenhalteprinzip fehlt, zerfällt und löst sich auf.
Seele und Leben
Man sollte daran denken, dass die Absicht und der Wille der Seele – die geistige Entschlossenheit zum Sein und zum Handeln – die Fadenseele, den Lebensstrom als ein Mittel zur Äußerung in der Form benutzt. Dieser Lebensstrom teilt sich in zwei Ströme oder Fäden, sobald er den Körper erreicht, und ist – wenn ich es so ausdrücken darf – an zwei Stellen im Körper verankert. Dies ist ein Symbol für die Differenzierung von Atma oder Geist in seine beiden Spiegelbilder: Seele und Körper.
Bewusstseinsaspekt der Seele
Die Seele oder der Bewusstseinsaspekt, der ein Menschenwesen zu einer vernunftbegabten denkenden Wesenheit macht, ist durch einen Aspekt dieser Fadenseele an einem „Sitz“ im Gehirn „verankert“, der in der Gegend der Zirbeldrüse liegt.
Lebensaspekt der Seele
Der andere Lebensaspekt, der jedes Atom des Körpers beseelt und das Prinzip des Zusammenhaltes oder der Integration darstellt, findet seinen Weg zum Herzen und ist dort konzentriert oder verankert.
Die Seele mit dem Sitz im Herzen ist das Lebensprinzip, das Prinzip der Selbstbestimmung, der Zentralkern positiver Energie, vermittels dessen alle Körperatome am richtigen Platz festgehalten und dem von der Seele ausgehenden „Willen zum Sein“ untergeordnet werden.
Dieses Lebensprinzip verwendet den Blutstrom als Ausdrucksmittel und Kontrollorgan, und infolge der engen Verbindung des endokrinen Systems mit dem Blutstrom und dem Nervensystem werden die beiden Aspekte der Seelentätigkeit zusammengebracht, um den Menschen zu einem lebendigen bewusst wirkenden Wesen zu machen, das von der Seele beherrscht wird und die Absichten der Seele in allen Tätigkeiten des täglichen Lebens zum Ausdruck bringt.
Vorgänge beim Sterben – das Haus ist leer
Der Tod ist darum in der Tat ein Vorgang, bei dem diese beiden Energieströme aus dem Herzen und dem Kopf zurückgezogen werden, was dann den völligen Verlust des Bewusstseins und die Auflösung des Körpers zur Folge hat. Der Tod unterscheidet sich vom Schlaf insofern, als beide Energieströme herausgezogen werden. Im Schlaf wird nur der Energiefaden zurückgezogen, der im Gehirn verankert ist, und wenn dies geschieht, wird der Mensch bewusstlos. Damit meinen wir, dass sein Bewusstsein oder sein Gewahrsein an anderer Stelle konzentriert ist. Seine Aufmerksamkeit ist nicht mehr auf greifbare physische Dinge gerichtet, sondern wendet sich einer anderen Welt des Seins zu.
Beim Tod werden beide Fäden zurückgezogen oder im Lebensfaden vereint. Die Lebenskraft hört auf, mit Hilfe des Blutstroms den Körper zu durchdringen, und das Herz stellt seine Funktion ein, ebenso wie das Gehirn aufhört zu registrieren, und so tritt Stille ein. Das Haus ist leer. Jede Tätigkeit hört auf, ausgenommen jene erstaunliche unmittelbare Wirksamkeit, die das Vorrecht der Materie selbst ist und in dem Zersetzungsprozess zum Ausdruck kommt.
Der Mensch als Teil des Einen Lebens, in dem wir leben, weben und sind
Von gewissen Aspekten aus gesehen zeigt darum dieses Geschehen die Einheit des Menschen mit allem auf, was materiell ist; es beweist, dass er ein Teil der Natur selbst ist, und mit Natur meinen wir den Körper jenes Einen Lebens, in dem wir „leben, weben und sind“. In diesen drei Worten: leben, weben und sein haben wir die ganze Angelegenheit beschlossen:
Sein ist Wahrnehmung, Eigenbewusstsein und Selbstäußerung, und dafür sind Kopf und Gehirn des Menschen die äußeren Symbole.
Leben ist Energie, Verlangen in der Form, Zusammenhalt und Anhängen an eine Idee, und dafür sind Herz und Blut die exoterischen Symbole.
Weben weist hin auf das Hineinwachsen und Reagieren der seienden, wahrnehmenden, lebendigen Wesenheit in und auf das universelle Tätigsein, und dafür sind Magen, Bauchspeicheldrüse und Leber die Symbole.
Wir sind also Teil der Natur, des Einen Lebens, wenn wir leben und auch, wenn wir durch den Tod gehen.
… wird fortgesetzt
Literatur
Alice A. Bailey: Tod: Das Große Abenteuer
Kontakt
hennyrueckert@outlook.de
Foto: © Pixabay
Kommentare sind geschlossen.