Die Position des Menschen in der Evolution
Aus dem Blickwinkel der Evolution zu den drei in der Entwicklung vorangegangenen Naturreichen – Mineralreich, Pflanzenreich, Tierreich – entsprechen beim Menschen sein physischer Körper, sein Ätherkörper und sein Astralkörper. Eine vierte Qualität, der Mentalkörper, wurde später entwickelt. Dieser befähigt den Menschen zu denken und sich seiner selbst bewusst zu sein.
Die integrierte Persönlichkeit
Diese Fähigkeit zu denken war anfangs noch rudimentär, der Mensch war während vieler Inkarnationen nur ein Teil der Menschenvielfalt ohne bewussten Kontakt zu seiner Seele. Der in ihm verborgene Seelenfunke machte sich allenfalls als die Stimme seines Gewissens bemerkbar.
Je mehr der Mensch sein Denken entwickelt und sein Bewusstsein ausdehnt, je mehr er aktiv denkend sein Leben bewusst zu bestimmen und zu verantworten lernt, desto mehr kommt es zu einer zunehmenden Integration zwischen physischem Körper, Äther-, Astral- und Mental-Körper. Der Mensch wird, wie es bei Meister Djwal Khul, dem Tibeter, heißt, „zu einer integrierten Persönlichkeit“, die nun über die Fähigkeit zu denken verfügt und bewussten Kontakt zur Seele aufnehmen kann.
In weiteren Inkarnationen kann diese Persönlichkeit sich ihrer selbst immer mehr bewusst werden und in immer engeren Kontakt zur Seele kommen, bis sie schließlich mit ihr eins wird.
In diesem Prozess des Einswerdens, der Integration, können wir grob drei Stufen unterschieden:
- Auf einer frühen Stufe der Entwicklung lebt der Mensch ein selbstbezogenes, mehr oder weniger nur auf seine eigenen Bedürfnisse ausgerichtetes Leben, ohne sich seiner selbst und des größeren Zusammenhangs, in dem er steht, bewusst zu sein.
- Mit fortschreitender Entwicklung ist sich die Persönlichkeit der Existenz der Seele zunehmend bewusster. Sie kämpft mit der Seelenenergie, die ein anderes, weniger auf das individuelle Sein der Persönlichkeit hin orientiertes Wertesystem repräsentiert. Im Laufe vieler Inkarnationen entwickelt sich das Gefühls- und Verstandesleben immer weiter weg von einem egozentrischen Standpunkt zu einem immer wacheren Bewusstseinszustand. In diesem Zustand erkennt der Mensch mehr und mehr die dem Einzelleben übergeordneten Zusammenhänge. Damit erfolgt auch das Sterben nach jeder Inkarnation auf einem wacheren Bewusstseinsniveau.
- Auf einer noch weiter fortgeschrittenen Bewusstseinsstufe vereint sich schließlich die Persönlichkeit mit der Seele, sie wird eins mit ihr. Jetzt sind die Gesetze der Seele nicht mehr die des auf sich selbst bezogenen Menschen bestimmend: Der Mensch übernimmt jetzt die Verantwortung innerhalb größerer Zusammenhänge. Er wird – wie es bei Meister Djwal Khul heißt – zum dienenden Werkzeug des göttlichen Plans. Die Maßstäbe seines Handelns sind jetzt nicht mehr von ichbezogenen Kriterien der Persönlichkeit her bestimmt, vielmehr richtet er sich jetzt nach den Maßstäben der Seele aus. Das Ziel seines konkreten Wirkens in der Welt liegt jedoch weiterhin in dieser äußeren Welt, die sich auf dem Weg der Evolution auf eine höhere Stufe entwickeln soll.
Auf dieser Ebene kann der jetzt vom Seelenleben her bestimmte bewusste Mensch im Sterben seinen ätherischen und emotionalen Körper sowie seinen Verstandeskörper wach und bewusst ablegen und so sogar den Tod willentlich herbeiführen.
Die Fähigkeit zu denken
Die Fähigkeit zu denken und damit unser Bewusstsein immer mehr zu erweitern, ist es also, was uns zum Menschen macht und uns unterscheidet von Mineral-, Pflanzen- und Tierreich. Mit dieser Fähigkeit stehen wir an der Spitze der Evolution auf unserer Erde.
In diesem Bereich des Bewusstseins und des Denkens wird die Evolution weitergehen: Die Entwicklung jedes einzelnen Menschen und die Entwicklung der Menschheit als Ganzes werden bestimmt durch die Entwicklung unseres Denkens. Sie hat das Ziel, uns zu einer integrierten Persönlichkeit werden zu lassen, die schließlich mit unserer Seele eins wird, sodass wir von dieser Ebene aus leben und handeln können.
Verantwortung für unsere Gedanken
Wir sind es nicht gewohnt, dieser Fähigkeit zu denken in unserem Alltagsbewusstsein einen so bedeutsamen Stellenwert zuzumessen. Wir erleben die Gedanken, die wir denken, meist eher als zufällig und flüchtig. Wir billigen ihnen keinen wesentlichen Realitätsgehalt zu, wenn sie nicht unmittelbar in eine konkrete Handlung münden. Wir sind uns meist nicht bewusst oder geben uns jedenfalls keine Rechenschaft darüber ab, dass wir mit dem, was wir denken, sehr wohl etwas tun und bewirken.
Unsere Gedanken sind meist nicht, wie wir vielleicht meinen, rein rational, d.h. von unserem Verstand bestimmt. Sie stehen vielmehr je nach der Entwicklungsstufe, die das Denken des einzelnen Menschen erreicht hat, in einem emotionalen Zusammenhang. Sie sind gefärbt durch unser individuelles emotionales Sein, unser Verlangen und unsere Wünsche und geformt durch unsere individuellen mentalen Fähigkeiten.
Es ist wichtig, sich klar zu machen, dass wir es sind, die unsere Gedanken selbst schaffen als das Individuum, das wir sind. Damit sind wir – das ist entscheidend – für diese so entstandenen Gedankenformen verantwortlich: Sie sind unser Werk, sie haben als konkrete Gegebenheit eine Wirkung und eine bestimmte Bedeutung in der Welt und sie haben auch eine Aufgabe und ein Ziel. Sie geben uns die Möglichkeit, in der Welt bewusst oder unbewusst etwas zu verändern oder zu bewegen, sei es auf einer konkreten äußeren Ebene oder durch Beeinflussung zum einen auf uns selbst als ihren Schöpfer, den Denker der Gedanken, zum anderen auf andere Menschen, sei es im Guten oder im Bösen.
Denken und menschliche Sprache
Das Medium, das unsere Gedanken in der äußeren Welt für andere Menschen erlebbar macht, ist die menschliche Sprache. Nur über die Sprache können wir unser Denken anderen mitteilen. Erst damit haben wir die Möglichkeit, mit anderen zusammenzuarbeiten, mit anderen gemeinsam etwas zu bewirken, was über die Möglichkeiten eines einzelnen hinausgeht. Und Hand in Hand mit der Weiterentwicklung unseres Denkens entwickelt sich auch die Sprache weiter. Sie wird differenzierter, damit auch das, was bis dahin nicht denkbar war, was wir nur ahnen oder allenfalls in Bildern erfassen konnten, sagbar wird. „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort …“, so beginnt das Johannes-Evangelium. Hier können wir spüren, in welch umfassender Dimension wir uns bewegen.
Denken und Gefühle
Die meisten unserer Gedanken werden – entweder aus uns selbst heraus oder in der Interaktion mit anderen Menschen und mit äußeren Umständen – veranlasst, gefärbt und geformt von positiven und negativen Emotionen, von Launen und Reizbarkeiten, von egoistischen Bestrebungen, von Neid, Ärger, Hass und Wut, von Depression, Mutlosigkeit und Verzweiflung.
Es geht uns oft nicht gut damit, wir spüren mehr oder weniger deutlich, dass Gedanken, die wir auf einem solchen Hintergrund denken, uns hindern, so zu sein, wie wir sein wollen, und wir suchen nach Wegen, besser mit diesen mentalen Hindernissen umzugehen.
Die Wirkung von Hass
Von Meister Djwhal Khul lernen wir folgendes:
„- Eine starke Gedankenform kann wie ein Bumerang wirken. Sie kann zu demjenigen zurückkehren, der sie ausgesandt hat. Ein starker, in Mentalstoff gekleideter Hass kann zu seinem Schöpfer – mit der Energie der gehassten Person beladen – zurückkehren und im Leben dessen, der sie ausgesandt hat, Verwüstung anrichten.
– Eine Gedankenform kann auch wie ein giftiges Mittel wirken und alle Quellen des Lebens verseuchen. Sie mag vielleicht nicht stark genug sein, um aus ihres Schöpfers Aura hinauszugelangen und ihr Ziel in der Aura eines anderen zu finden, um dort Kraft zu sammeln und wieder dorthin zurückzukehren, woher sie kam; aber sie mag eine selbstständige Lebenskraft besitzen, die das Leben des Denkers verwüsten kann….“
- Wie können wir verantwortlich mit unserem Denken umgehen?
- Wie kann ein Mensch sich vor diesen Gefahren schützen?
Der Tibeter bietet uns mögliche Antworten auf diese Fragen an:
Übung der Harmlosigkeit
Zuerst und vor allem durch die ständige Übung der „Harmlosigkeit“ (des Ohne-Harm-Seins), der Geisteshaltung, niemandem Leid oder Unrecht zuzufügen. Dazu gehört Harmlosigkeit in der Rede, in Gedanken und folglich auch im Handeln.
Disziplin im Denken
Zweitens durch tägliches Wachestehen an den Toren des Denkens und eine ständige Aufsicht über das Gedankenleben. Bestimmte Gedankengänge werden nicht zugelassen; gewisse alte Denkgewohnheiten werden durch die Einsetzung aufbauenden schöpferischen Denkens aufgehoben; bestimmte vorgefasste Ideen werden in den Hintergrund verwiesen, so dass die neuen Horizonte erschaut werden und die neuen Ideen Fuß fassen können. Danach wird das Denkvermögen von Ideen und nicht mehr von Gedankenformen in Anspruch genommen.
Alltagswelt und Welt der Ideen
Drittens durch die Weigerung, ausschließlich in der eigenen Gedankenwelt zu leben, und durch den Entschluss, in die Welt der Ideen und in den Strom menschlicher Gedankenwellen einzutreten. Die Ideenwelt ist die Welt der Seele und des höheren Denkens. Der Strom menschlicher Gedanken und Meinungen ist der des öffentlichen Bewusstseins. Der Mensch muss sich in beiden Welten frei bewegen.
Loslassen der Gedanken
Viertens muss der Mensch lernen, sich von seinen eigenen Gedankenschöpfungen zu lösen und sie freizugeben, damit der Zweck erfüllt werde, zu dem er sie einsichtsvoll ausgesandt hat.“
Wir haben dem Thema Denken hier viel Raum gegeben, weil das verantwortliche Umgehen mit der Fähigkeit zu Denken von so entscheidender Bedeutung ist für die adäquate Entwicklung unseres Bewusstseins und damit für eine sinnvolle Gestaltung unseres Lebens. Je besser es uns gelingt, diesen Hinweisen entsprechend mit unserem Denken umzugehen, desto leichter wird auch unser Sterben verlaufen.
… wird fortgesetzt
Literatur
Alice A. Bailey: Death: The Great Adventure
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Foto: © Pixabay
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