Die großen Fragen der Menschheit
Gedanken und Vorschläge zum Prozess des Sterbens
Irgendwann im Leben ist jeder Mensch mit der Frage nach dem Sinn unseres Lebens konfrontiert:
- Wer bin ich?
- Wo komme ich her?
- Wohin gehe ich?
- Was ist Sinn und Ziel meines Lebens?
Ein Kind stellt die erste Frage zumindest nicht bewusst, die zweite vielleicht aus Neugier. Die dritte Frage stellt der Erwachsene, wenn das Ende des Lebens näher rückt oder wenn das Leben bedroht ist. Auch die vierte Frage ist wohl eher eine Frage der zweiten Lebenshälfte:
Meist taucht sie auf, wenn es Krisen gibt, wenn der gleichförmige selbstverständliche Fluss des Lebens irgendwie gestört ist, wenn Veränderungen anstehen, Weichen neu gestellt werden wollen oder wenn Tod und Sterben sich ankündigen als unabweisbare und unübersehbare Tatsache, die zum Leben und zum Menschsein gehört.
Bedeutung von Tod und Sterben
Jeder Mensch muss sterben. Vom Kopf her wissen wir das. Aber die meisten von uns leben über lange Strecken ihres Lebens, als gäbe es diese Tatsache nicht.
Was bedeutet es für die Art und Weise, wie wir unser Leben leben, wie wir sterben und für das, was nach dem Tod kommt, ob wir uns mit den großen Fragen des Lebens beschäftigen oder nicht?
Im Hellen sterben – im Hellen leben?
Vor Jahren sagten mir Schwestern in einer onkologischen Klinik, es gebe helle und dunkle Sterbezimmer. Ich konnte mir damals nichts darunter vorstellen, aber ich erfuhr sehr bald, dass es wirklich so war: Ich kam zu Patienten, Sterbenden, wo ich trotz aller Schmerzen und allen Leids das Gefühl hatte, die Sonne scheine im Zimmer, es herrschten Frieden und Ruhe, manchmal spürte ich, dass ich im Kontakt mit diesem Menschen etwas geschenkt bekam, was ich sonst noch nie erlebt hatte. Und dann gab es wirklich Zimmer, in denen sich, wenn ich eintrat, ein lähmender Bann auf mich legte, der mir fast den Atem nahm, den ich kaum ertragen konnte.
Ich habe damals nicht verstanden, was diesen Unterschied ausmachte, und ich kann es wohl auch heute nur zu einem kleinen Teil konkret fassen. Aber ich habe diese Erfahrung nie vergessen, und es begleitete mich seitdem die Frage, was es mit dem Sterben auf sich habe. Können wir etwas dazutun, dass wir im Hellen sterben? Sagt dieses helle Sterben etwas aus darüber, wie der betreffende Mensch sein Leben gelebt hat, wie weit er dem Sinn seines Lebens gerecht geworden ist? Gibt es auch ein helles Leben, unabhängig von dem mehr oder weniger großen Päckchen, das jeder Mensch zu tragen hat? Was hat es eventuell für die Menschen um uns herum, vielleicht für alle Menschen für eine Bedeutung, für einen Sinn, für Folgen, wenn es dem Einzelnen gelingt, hell zu leben und hell zu sterben?
Auf der Suche nach Antworten
Die Fragen nach Leben und Tod wurden wohl zu allen Zeiten von Menschen gestellt. Je weiter sich das Bewusstsein der Menschheit oder auch einzelner fragender Menschen entwickelt, desto präziser können sie formuliert werden. Demgemäß werden auch die möglichen Antworten klarer, präziser, deutlicher, umfassender. Allerdings werden sie nie endgültig sein, vielmehr bereiten die jeweils gefundenen Antworten immer nur den nächsten Schritt vor für weiteres Bewusstwerden des einzelnen Menschen und der Menschheit als Ganzes und damit für umfassendere Antworten.
Verschiedene Wege
Es gibt grundsätzlich drei Hauptrichtungen, aus denen man sich diesen großen Sinnfragen nähern kann: die Wissenschaft, die Religion und die Philosophie.
Unser heutiges Weltbild ist in erster Linie ein wissenschaftliches Weltbild. Die Frage nach Leben und Tod blieb in diesem Weltbild von der Aufklärung bis heute weitestgehend ausgeklammert: Bis heute hat die Wissenschaft keine wirkliche Antwort darauf, was das Leben eigentlich ist; Tod und Sterben gelten in unserer heutigen Medizin eher als Versagen, als etwas, was eigentlich nicht sein sollte, nicht als ein natürlicher und selbstverständlicher Teil unseres Lebens und des Menschseins.
Die eigentlichen Naturwissenschaften, insbesondere die Physik, haben dagegen in unserem Jahrhundert neue Denkmodelle hinsichtlich Leben und Tod ermöglicht, die sich an vielen Stellen sowohl mit religiösen als auch mit philosophischen Weltvorstellungen treffen.
Unser Ansatz
Wenn wir uns dem Thema Tod und Sterben nähern, können wir auf das Wissen der großen Denker im Osten und im Westen zurückgreifen. Wir wollen versuchen, dieses Gedankengut und unsere aktuelle Sichtweise, die sich aus der Weiterentwicklung unserer Welt bis zum heutigen Tage ergeben hat, zur Synthese zu bringen.
Wir gehen dabei aus von einer Denkrichtung, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts sehr aktuell war und die auch heute noch einen guten Ausgangspunkt für viele Aspekte dieser Fragen bietet: Sie basiert auf östlichem Gedankengut, hat jedoch die wichtigen Aspekte aller großen Denkschulen, auch das christliche Gedankengut, in sich vereint. Diese Denkrichtung geht zurück auf die Lehre des Tibetischen Meisters Djwhal Kuhl, genannt „der Tibeter“ und auf die Schriften von Alice A. Bailey, der diese seine Lehren ihr mitgeteilt hat.
Die zentrale Idee dieses Denkgebäudes, die auch allen anderen Denksystemen und Religionen mehr oder weniger offensichtlich zugrunde liegt, ist die Idee der Evolution.
Evolution und Reinkarnation
Evolution ist die Entwicklung von differenzierten Formen in Richtung auf immer mehr Bewusstsein.
In den großen Kulturen des Ostens, in Ägypten, bei den Griechen und auch im frühen Christentum kannte man in Verbindung damit auch den Gedanken der Reinkarnation, der wiederholten Erdenleben. Auch später war dieses Gedankengut noch lebendig, zumindest bei unseren großen Dichtern und Denkern, so bei Goethe, Fichte, Herder, Lessing und vielen anderen. Als Beispiel mögen die beiden folgenden Zitate stehen:
Des Menschen Seele gleicht dem Wasser.
Vom Himmel kommt es, zum Himmel steigt es,
und wieder nieder zur Erde muss es, ewig wechselnd.
Johann Wolfgang von Goethe
Warum könnte jeder einzelne Mensch nicht mehr als einmal auf dieser Welt gewesen sein? Ist diese Hypothese darum so lächerlich, weil sie die älteste ist? Weil der menschliche Verstand, ehe ihn die Sophisten der Schule zerstreut und geschwächt hatte, sogleich darauf verfiel?
Warum sollte ich nicht so oft wiederkommen, als ich neue Erkenntnisse, neue Fertigkeiten zu erlangen geschickt bin? Bringe ich auf einmal so viel weg, dass es der Mühe, wiederzukommen, etwa nicht lohnet?
Darum nicht? Oder weil ich es vergesse, dass ich schon dagewesen? Wohl mir, dass ich es vergesse. Die Erinnerung meiner vorigen Zustände würde mir nur einen schlechten Gebrauch des Gegenwärtigen zu machen erlauben. Und was ich auf jetzt vergessen muss, habe ich denn das auf ewig vergessen? Oder weil so viel Zeit für mich verloren gehen würde? Verloren? Und was habe ich denn zu versäumen? Ist nicht die ganze Ewigkeit mein?
Gotthold Ephraim Lessing
In den letzten Jahren wird die Idee der Evolution und der Reinkarnation für zunehmend mehr Menschen selbstverständlich. Damit verändert sich für sie nicht nur die Position des Menschen in der Welt, es zeigen sich auch neue Möglichkeiten für die nächsten Entwicklungsschritte sowohl des Einzelnen als auch der Menschheit als Ganzes.
Viele Sinnfragen finden im Lichte des Reinkarnationsgedankens befriedigendere Antworten: (z. B. Wie kann Gott das zulassen?) Unser Leben zwischen Geburt und Tod steht damit in einem anderen, dieses gegenwärtige Leben übergreifenden Kontext: Es ist nur eine Spanne in einem größeren Zeitlauf. Der Tod ist nicht ein Aufhören, ein Ende, sondern nur ein Übergang in einen anderen Zustand, ein Schritt auf einem längeren Weg.
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