Die Kraft des Feuers
Die Vielschichtigkeit des Elementes Feuer spielt in der Menschheitsgeschichte und im gesamten Universum eine zentrale Rolle. Natürlich sind die anderen Elemente Äther, Luft, Wasser und Erde gleichermaßen an der Entwicklung beteiligt, doch keines treibt die Entwicklung so intensiv voran wie das Feuer.
Das Feuerelement – symbolisiert durch die Sonne– bedeutet nicht nur Licht und Wärme, es steht für Umwandlung und Evolution. Umwandlung bedeutet Veränderung und Weiterentwicklung. Es verwandelt die Materie in andere Erscheinungsformen, es verändert ihre Aggregatzustände: Festes wird flüssig und Flüssiges wird gasförmig. Setzen Sie sich in die Natur und beobachten Sie das Wechselspiel zwischen Materie und Sonne, den Verlauf der Jahreszeiten, das Werden und Vergehen. Feuer lehrte den Menschen, Ton zu verarbeiten, um Häuser zu bauen und Geschirr und Gefäße herzustellen, und Metalle in Werkzeug, in Schmuck und in Waffen zu verwandeln.
Die schöpferische Kraft des Feuers auf der einen Seite birgt andererseits den gegensätzlichen Pol der Zerstörung– zwei Pole, die von uns Menschen sinnvoll genutzt werden wollen. Die Betonung liegt auf sinnvoll. Auch in der geistigen Entwicklung spielt das Feuer eine prägende Rolle. Es steht für Intelligenz, Aufmerksamkeit, Erkenntnis und die sich daraus ergebende Einsicht und deren Umsetzung. Es bedeutet sowohl die Transformation des Denkens als auch die des Handelns.
Des Feuers Schlüsselstellung
In der Lehre der ayurvedischen Philosophie und Medizin nimmt das Feuer eine Schlüsselstellung zwischen den feinstofflichen Elementen Luft und Äther und der grobstofflichen Materie Wasser und Erde ein.
Feuer vereint sich in der Bioenergie Pitta mit dem Element Wasser zur transformierenden Kraft, die zwischen der feinstofflichen Bioenergie Vata – gebildet aus den Elementen Äther und Luft – und der grobstofflichen Bioenergie Kapha – gebildet aus den Elementen Wasser und Erde – agiert. Die fünf Elemente sind in allem und jedem vorhanden: in Mensch, Tier, Stein, Pflanze und Kosmos. Die Tri-Doshas Vata, Pitta und Kapha sind aus ayurvedischer Sicht für alle positiven und negativen Veränderungen im Körper verantwortlich. Sie übernehmen die Kommunikation zwischen Körper und Geist.
Die Veden bezeichnen den Feuergott Agni als die Quelle aller Weisheit, den Herrscher über die Naturkraft der Umwandlung. Durch das Licht des Feuers wird das Sehen möglich, zeigt sich die Materie dem Auge, erkennt der Mensch die Welt. Dem Verdauungsfeuer Agni, das den Namen der vedischen Gottheit trägt, kommt in der Ayurveda-Medizin eine besondere Stellung zu.
In der organischen Natur sorgt das Feuerprinzip für die Umwandlung der Nahrung, deren optimale Verstoffwechselung und die Qualität der Körpergewebe. Es bestimmt und regelt die Körpertemperatur. Je nachdem wie gut Agni brennt, können die Nahrung verstoffwechselt und die Körperzellen optimal mit Nährstoffen und Prana (Lebensenergie) versorgt werden. Die Qualität der Nahrung und der gesunden Verdauungskraft bestimmt die physische Kraft, die geistige Präsenz und das Charisma, mit denen Menschen ihrer Umwelt begegnen.
Das Bild eines Lagerfeuers kann die Bedeutung der Verdauungskraft gut veranschaulichen: Ein Feuer, das optimal brennt, hinterlässt eine feinkörnige Asche ohne Rückstände. Schwelt das Feuer jedoch vor sich hin, weil es nicht in Gang kommt, ist die Asche grobkörnig und voller Rückstände. Übertragen auf die Qualität der verdauten Nahrung wird dadurch verständlich, was auf dem Transport in die Zelle geschieht. Die feinen Gefäße, die der unverdaute Nahrungsbrei durchquert, in denen er weiter aufgespalten werden soll, können nicht optimal passiert werden und es kommt zu Ablagerungen und Schlacken, im Ayurveda Ama genannt. Deshalb wird in jeder Ayurvedabehandlung als Basis eine gesunde Verdauungskraft angeregt und die Ausleitung von Ama gefördert. Korrekturen in der Lebensführung und die Balancierung der mentalen Stabilität werden in die Behandlungen integriert. Sprichwörter aus dem Volksmund, die sich auf die Verdauung beziehen, wie: ≪Es ist mir auf den Magen geschlagen≫ und ≪Mir ist eine Laus über die Leber gelaufen≫, können das Zusammenspiel zwischen körperlicher und geistig-seelischer Verfassung nicht treffender charakterisieren.
Die Feuerkraft spüren
Das Pitta-Dosha hat seinen Sitz im Magen, im Zwölffingerdarm und im Dünndarm. Seine Kraft der Führung und der Umwandlung schafft die Freude an der Arbeit, dem Bestimmen und der Entscheidung. Es erfüllt uns mit Wissen und Motivation und lässt uns Hindernisse bewältigen. Nutzen wir diese Energie sinnvoll, sind wir in unserer Kraft.
Die Veden bezeichnen den Feuergott Agni als die Quelle aller Weisheit.
Verliert die Energie jedoch die gesunde Verbindung zu unserem Geist, kann sie einen zerstörenden Charakter entfalten, der sich auf körperlicher Ebene durch Entzündungen, Verdauungsstörungen, Durchfall, Sehstörungen (rot sehen) äußern kann: Saure, scharfe, zu salzige und heiße Speisen sollten in diesem Fall unbedingt gemieden werden. Dazu gehören alle sauren Früchte und Gemüse, Kaffee, Fleisch, Alkohol und Essig, sehr salzige Speisen wie Käse und Fertigprodukte. Auf dem Speiseplan sollten kühle, bittere und süße Nahrungsmittel stehen.
Fehlt es an Feuerkraft, fühlen wir uns antriebslos, unentschlossen, müde, schwer, appetitlos. Wir leiden an träger Verdauung, Gewichtszunahme, Verschleimung:
Das Bild eines Lagerfeuers veranschaulicht gut die Bedeutung der Verdauungskraft.
Die Elemente Wasser und Erde, die Bioenergie Kapha, ist aus der Balance geraten. Wärme, Bewegung und Leichtigkeit sollten in den Organismus gebracht werden.
Ist das Nervensystem überreizt, bestimmen Konzentrationsschwäche, Schlafstörungen, Zaghaftigkeit und Ängstlichkeit den Geist. Verstopfung, Blähungen, kalte Hände und Füße sind die Folge. Dann hat die Bioenergie Vata ihr Gleichgewicht verloren. Hier kann wärmende Nahrung Agni anregen, die Körpertemperatur balancieren und unseren Geist mit neuem Mut beflügeln.
Das Feuer regulieren lernen
Agni, das Feuerprinzip auf körperlicher Ebene, steht in enger Beziehung zu unserer geistigen Beschaffenheit. Das geistige Feuer wird den Gunas, den drei geistigen Qualitäten zugeordnet: Es wird Rajas genannt und bedeutet Aktivität, Unruhe und dynamische Bewegung. Es verursacht Gefühl und Emotion. Es ist die aktive Kraft, die allen Bewegungen unseres Willens, der Sinnesorgane Ohren, Haut, Augen, Zunge und Nase als auch der motorischen Organe Mund, Hände, Füße, Fortpflanzungs-und Ausscheidungsorgane zugrunde liegt. Brennt es zu stark, entstehen Emotionen wie Wut, Hass, Aggression, Neid, Ehrgeiz und ungesunde Konkurrenz, die durch ihren zerstörerischen Charakter tiefe Verletzungen und Verwüstung auf physischer, psychischer oder materieller Ebene anrichten können.
Während Pitta die transformierende Kraft symbolisiert, die zwischen den Bioenergien Vata und Kapha agiert, steht Rajas für die Kraft der Wandlung zwischen den beiden anderen geistigen Qualitäten: dem Sattva – dem Prinzip der Stabilität, Reinheit, Wachsamkeit, Essenz, Gefühl und Emotionen in Ruhe und Ausgeglichenheit, und dem Tamas – dem Prinzip der Trägheit, Passivität, Dunkelheit, Unwissenheit, Schwere und Dunkelheit.
Das geistige Feuer wird den Gunas, den drei geistigen Qualitäten, zugeordnet.
Diese drei Gunas agieren in einer dynamischen Wechselwirkung, sie stehen für die Höhen und Tiefen, durch die das Leben führt. Sie sind miteinander verwoben und beeinflussen einander. Rajas steuert das Zusammenspiel der Gunas, es bewegt in Richtung Sattva oder Tamas und treibt den Menschen in seiner Entwicklung voran: Was uns bewusster macht, ist für uns Sattva. Was unser Bewusstsein trübt, ist Tamas. Sattva fördern bedeutet, den Zustand des Gleichgewichts und der Heilung zu bewirken und spirituelles Wachstum zu unterstützen.
Das Feuer – in welcher Form auch immer – zu entzünden, zu regulieren und dennoch kontrollieren zu können, ist für den Menschen auf jeder Ebene nach wie vor eine der größten Herausforderungen.
Sattva
“Der Yogaschüler muss zwei Stufen erklimmen: Zunächst entwickelt er sein Sattva, dann transzendiert er es. Sattva entwickeln heißt, Körper und Geist läutern. Sattva transzendieren bedeutet, über Körper und Geist hinausgehen und Kontakt mit dem wahren Selbst jenseits der Manifestation aufnehmen. Wer Sattva nicht entwickelt hat, kann es auch nicht transzendieren. Vergessen Sie diese wichtige Regel nicht! Wenn im Körper und im Geist – auch in den Gefühlen – ein Mangel an Sattva oder Reinheit herrscht, ist es verfrüht, nach Erleuchtung zu streben. Wir fördern Sattva durch richtige Ernährung, körperliche Reinigung, Herrschaft über die Sinne, Mantras und Hingabe. Höhere Formen der Meditation helfen uns, Sattva zu transzendieren.” David Frawley
…..wird fortgesetzt
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