Die Konstitutionstypen (Prakṛti)
(see part 2 -> link)
Es überrascht somit nicht, dass der Begriff Prakriti (Urmaterie) auch für die körperliche Konstitution des Menschen benutzt wird. Die kosmischen Energien widerspiegeln sich im Menschen. Der traditionelle Ayurveda lehrt aufgrund dieser Tatsache, dass die exakte Konstitution des Menschen auch in seinem persönlichen vedisch-astrologischen Horoskop (Jyotish) abgelesen werden kann. In der westlichen Medizin weist Paracelsus (1493 – 1541, Arzt und Naturphilosoph) auf die Wichtigkeit der Astrologie in der Medizin hin. „Der Arzt, der nicht die Astronomie beherrscht, der kann nicht ein vollkommener Arzt genannt werden.“ (IV, 405)
Es ist von alters her bekannt, dass die gleichen formgebenden Kräfte und Strahlen, welche bei den Planeten und der Erde wirken, auch beim Menschen, bei Tieren, Pflanzen, Mineralien wirken sowie bei der Entstehung von Krankheiten. Daraus erkennt man, wie alles miteinander verbunden und ein Teil eines Ganzen ist. „Alles, was die Natur gebiert, das formt sich nach dem Wesen der Tugend, die im selbigen ist“ schreibt auch Paracelsus. Der Charakter, das Gemüt und die Eigenschaften eines Wesens stehen mit der Form, Figur und dem Körper in Übereinstimmung. Das Äußere weist auf das Innere und das Innere offenbart sich im Äußeren. Durch genaue, tiefgründige Betrachtung haben unsere Vorfahren nicht nur die Heilgeheimnisse einer Blume, eines Baumes oder Minerals, sondern auch die Tugenden eines Menschen ergründet. Bei einem Menschen zeigt uns seine Konstitution, wie seine Art oder sein Wesen ist und was er in sich verborgen hat.
Caraka sagt nun, dass es bestimmte Faktoren gibt, welche die Konstitution des Menschen beeinflussen:
- Die Beschaffenheit von Samen und Eizelle der Eltern
- Der Zeitpunkt der Befruchtung
- Die Beschaffenheit und der Zustand der Gebärmutter
- Die Ernährung und Lebensweise der Mutter während der Schwangerschaft
- Die Zusammensetzung der fünf Elemente (Mahābhūtas) im Fötus (CS. Vi.8.95)
Das Wissen darum, ist der Grund, dass sich in Indien viele Paare bewusst auf eine Schwangerschaft vorbereiten. Beide Paare führen vor der Empfängnis gewisse Reinigungsrituale (z. B. Panchakarmakur) durch, so dass das Kind auf einem guten und gesunden «Boden» heranwachsen kann. Der Zeitpunkt der Befruchtung wird nicht wahllos gewählt, sondern nach speziellen guten kosmischen Konstellationen. Nach der Empfängnis legt die Mutter besondere Achtsamkeit auf eine gute und konstitutionsgerechte Ernährung und beide Elternteile achten auf eine harmonische und friedvolle Lebensweise. Die Zeugung eines Kindes wird als heiliger schöpferischer Akt betrachtet. Das wird als Voraussetzung für eine gute körperliche und psychische Konstitution des Menschen betrachtet.
Gemäß Aṣṭāñga Hṛdayam gibt es sieben Arten von menschlichen Konstitutionen (Śārīrasthāna, 3.83). Die körperliche Konstitution (Deha Prakṛti) wird je nach Ausprägung der drei Doṣas – Vāta, Pitta, Kapha – gebildet. Dominanzen einzelner Doṣas sind selten. Häufig zeigen sich Mischformen von zwei dominanten Doṣas, wobei meistens eines davon stärker ausgeprägt ist. Das dominierende Doṣa bestimmt oft den Körperbau.
- Vata Konstitution (Vataja Prakṛti)
- Pitta Konstitution (Pittaja Prakṛti)
- Kapha Konstitution (Kaphaja Prakṛti)
- Vata-Pitta Konstitution (Vata-Pittaja Prakṛti)
- Vata-Kapha Konstitution (Vata-Kaphaja Prakṛti)
- Kapha-Pitta Konstitution (Kapha-Pittaja Prakṛti)
- Tridosha Konstitution (Tridoṣaja Prakṛti) = Gleichgewicht aller drei Doṣas
Die psychische Konstitution (Mānasa Prakṛti) wird bei der Konstitutionsanalyse separat betrachtet. Die drei psychischen Grundkräfte (Triguṇa) sind:
- Sattva
- Rajas
- Tamas
Wie bei der körperlichen haben wir auch bei der psychischen Konstitution ein kosmisches Spiegelbild. Die drei universellen Grundqualitäten, die drei Gunas – Sattva, Rajas, Tamas –durchdringen die gesamte Schöpfung, beeinflussen den Menschen und wirken auf unsere Psyche und unseren Körper. (siehe Teil 2 -> Link zu Die Drei Gunas)
Somit haben beide Konstitutionen – körperliche und psychische – eine Auswirkung auf den Menschen. Deshalb kann es sein, dass eine körperliche, «heiße» Pitta Konstitution trotzdem einen ruhigen und ausgeglichenen Geist (Sattva)hat oder eine «schwere» Kapha Konstitution mental überaktiv, leidenschaftlich oder aggressiv (Rajas) ist und eine «leichte» Vata Konstitution träge und lethargisch ist. In der Konstitutionsbestimmung gilt es diese Faktoren zu berücksichtigen und gut zu unterscheiden.
Die Konstitutionsbestimmung wird meistens bei einer ayurvedischen Erstkonsultation vorgenommen. Ideal ist es, wenn sie bei einem gesunden Menschen gemacht werden kann, das heißt, bevor der Mensch krank ist. Denn dann weiß man gleichzeitig, wie möglichen Krankheiten durch richtiges Verhalten vorgebeugt werden kann. Ist der Mensch bereits krank, insbesondere bei langandauernden chronischen Erkrankungen, können die momentanen oder vergangenen Beschwerden den Blick auf die ursprünglichen Anlagen erschweren oder ein völlig falsches Bild abgeben. Ist das der Fall, betrachtet man das frühe Erwachsenenalter (ca. 20 – 25 Jahre). Das heißt, bei der Konstitutionsbestimmung fragt der Ayurveda Mediziner dann immer «Wie war das früher?». Dieses Vorgehen ist jedoch nur dann relativ zuverlässig, wenn sich der Patient an diese Zeit gut erinnern kann. Bei einem kranken Menschen tritt die Bedeutung der Konstitution in den Hintergrund, weil dann zuerst die Symptome (Vikṛti) behandelt werden müssen. Die Konstitution wird dann meist nach der Beseitigung der Beschwerden (Vikṛti) sichtbar, was öfter zu einem erstaunlich anderen Bild führen kann. Es ist wichtig, diese Faktoren im Auge zu behalten. Ein gut ausgebildeter Ayurveda Mediziner kann Ihnen bei der Bestimmung der Konstitution behilflich sein.
Konstitutionsbestimmung (Prakṛti)
Körper | |||
---|---|---|---|
Vata | Pitta | Kapha | |
Körperbau und allgemeines Erscheinungsbild | hager, hervorstehende Knochen, Sehnen und Adern, oft unproportioniert | mittelgroß, mittelmäßig gut gebaut, meist sportlich | stämmig, gut ausgebildet, schwer, Fettgewebe dominiert, wohl proportioniert |
Haut | trocken, rau, rissig | warm, feucht, weich, rosafarben, Muttermale, Sommersprossen, Neigung zu faltiger Haut, Pickel | dick, feucht, kalt, weich |
Hände | rau, trocken, unruhig, mit Rissen, hervorstehende Gelenke und Adern | warm, rosig, feucht | dick, groß, kühl, fest, fettig |
Füße | klein, dünn, trocken, rau, unruhig, rissig | weich, warm, feucht | groß, dick, gut gebaut |
Nägel | dünn, klein, trocken, rau, dunkel | weich, rosig | dick, groß, glatt, weiß, fest, ölig |
Gelenke | „trocken“, instabil, Knacken, Krepitation | mittelgroß | groß, gut gebaut, fest, gut geschmierte Gelenke |
Ergebnis Körper | Vata | Pitta | Kapha |
Physiologie | |||
---|---|---|---|
Vata | Pitta | Kapha | |
Urin | wenig, gelegentlich schmerzhaft oder stotternd | viel, gelblich bis dunkel, gelegentlich brennend | durchschnittliche Menge, farblos |
Stuhl | hart, trocken, schwierig abzusetzen, Verstopfungen, Blähungen | viel, locker bis weich, eher häufigere Stuhlgänge | durchschnittliche Menge, geformt, enthält zuweilen Schleim, „fettig“ |
Appetit | unregelmäßig | stark, auch starker Durst | wenig, konstant |
Sprechweise | schnell, häufiger Themenwechsel, geschwätzig | fließend, klar, argumentativ, überzeugend, guter Redner | langsam, bleibt beim Thema, folgerichtig |
Abwehrkraft | gut | durchschnittlich | exzellent |
Schlaf | wenig (< 6Stunden), unregelmäßig, unterbrochen, Zähneknirschen | durchschnittlich (7 Stunden) | lang (> 8 Stunden), tief |
Empfindlich gegenüber: | trockener Kälte, Wind | Hitze, Sonne | feuchter Kälte |
Krankheiten | Verspannungen, Schmerzen, Gelenkbeschwerden psychische Krankheiten | Fieber, Entzündungen, Übersäuerung | Schleim, Atemwegs-erkrankungen, Übergewicht |
Ergebnis Physiologie | Vata | Pitta | Kapha |
Psyche | |||
---|---|---|---|
Vata | Pitta | Kapha | |
Einstellung | unentschlossen, schnell, sprunghaft, unzuverlässig, Tätigkeiten werden begonnen, aber verspätet abgeschlossen | bestimmt, hitzig, zielstrebig, wetteifernd, erfolgsorientiert, entschlossen | beständig, eher langsam, aber gewissenhaft |
Verhalten bei Stress | ängstlich, schnell nervös oder erschöpft | impulsiv, aggressiv, ärgerlich | ruhig, abwartend, selten gereizt |
Verhalten | begeisterungsfähig lebendig, wechselhaft | humorvoll, mutig, dynamisch | bodenständig, systematisch, tolerant, treu, geduldig, freigiebig, gütig. |
Intelligenz | schnelle Auffassungsgabe | exzellent, analytisch, gezielte Aufmerksamkeit | langsame Auffassungsgabe |
Eigenart | kann sich schlecht entscheiden | ausgezeichnete Beobachtungsgabe | Gewohnheitsmensch |
Begabung | kreativ, phantasievoll, künstlerisch, emotional | Intellektuell, Forscher, Abenteurer, leidenschaftlich | rechtschaffen, ausdauernd, Philosoph, Gelehrter |
Ergebnis Psyche | Vata | Pitta | Kapha |
Gesamt Ergebnis | Vata | Pitta | Kapha |
… wird fortgesetzt
Literaturverzeichnis
Caraka Saṃhitā, (CS). (2018 reprint). Vimānasthāna (Vi), Vol. II, Chowkhamba Sanskrit Series Office, Varanasi, India
Aṣṭāñga Hṛdayam, (2014). Śārīrasthāna, Vol. I, Chowkhamba Krishnadas Academy, Varanasi, India
Paracelsus, Sämtliche Werke, Bd. IV, Anger Verlag
Kontakt
Sabine Anliker
Naturheilpraktikerin mit eidg. Diplom in Ayurveda-Medizin
MSc in Ayurveda Medizin
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