Die Ayurvedische Doṣa-Lehre
Vata, Pitta, Kapha
Der menschliche Körper setzt sich aus den fünf Elementen (Pañca-Mahābhūtas) zusammen: Erde (Pṛthivi), Wasser (Āpas/Jala), Feuer (Agni), Luft (Vāyu) und Äther (Ākāśa). Jedes Element zeichnet sich durch bestimmte Eigenschaften (Guṇa) und Kräfte aus. Die Erde ist schwer, die Luft ist leicht und beweglich und das Feuer ist heiß. Gemäß Ayurveda ist der gesamte Kosmos und somit auch der Mensch ein Zusammenspiel der Energien und Eigenschaften aus diesen fünf Elementen. Aus ihnen gehen die drei Doṣas hervor – Vāta, Pitta und Kapha. Jedes Doṣa besteht aus bestimmten Qualitäten (Guṇas). Es gibt 20 Eigenschaften (Gurvādi Gunas), die sich durch Vāta, Pitta und Kapha ausdrücken, sie aktivieren und beeinflussen.
Im Ayurveda ist das System der Drei-Dosha-Lehre von grundlegender Bedeutung. Die Konstitutionsbestimmung, die Physiologie, Pathogenese und Symptomatologie, sowie die Ayurveda-Therapie beziehen sich auf diese drei Doṣas.
Jedes Doṣas besteht aus allen fünf Elementen, aber in jedem herrschen zwei Elemente vor.
Vata —– Luft und Äther
Pitta —– Feuer und wenig Wasser
Kapha — Wasser, Erde
(Klassische Tibetische Medizin)
Diese drei Doṣas bilden eine Brücke zwischen dem feinstofflichen Geist und dem grobstofflichen Körper. Die eine Seite der drei Doṣas ist sehr feinstofflich, geistig (Vāta-Äther) und die andere Seite sehr grobstofflich, körperlich (Kapha-Erde). So bilden die Doṣas eine Art Kommunikation zwischen Geist und Körper, zwischen Innen und Aussen und stellen eine Verbindung zwischen Anatomie, Physiologie und Psychologie her.
Sämtliche äußere Einflüsse können die Doṣa-Verhältnisse im Körper beeinflussen. Tages- und Jahreszeiten, Klima, Wetter, Landschaften, Ernährung aber auch Verhaltensweisen haben auf die Doṣas und somit auf den Menschen Einfluss. Der Ayurveda schenkt diesen Doṣa-Einflüssen ganz besondere Beachtung. Die Doṣas sind ständig in Bewegung, vermehren sich und passen sich wieder an. Um das Doṣa-Gleichgewicht in allen Zeitphasen immer wieder auszugleichen, gibt der Ayurveda ganz bestimmte Ernährungs- und Verhaltensmaßnahmen, um die Gesundheit zu erhalten.
Während des Tagesablaufs sind folgende Doṣa-Eigenschaften besonders aktiv:
Tageszeiten
02:00 – 06:00 Uhr Vata
06:00 – 10:00 Uhr Kapha
10:00 – 14:00 Uhr Pitta
12:00 – 18:00 Uhr Vata
18:00 – 22:00 Uhr Kapha
22:00 – 02:00 Uhr Pitta
Während dem Jahresverlauf sind folgende Doshas erhöht:
Jahreszeiten
Kapha im Frühling (März – Juni)
Pitta im Sommer (Juli – Oktober)
Vata im Spätherbst und Winter (November – Februar)
Das Wort Doṣa heißt, «Mangel», «Fehler» oder «Unreinheit». Sind die Doṣas bei einem Menschen im Gleichgewicht, ist der Mensch gesund. Geraten die Doṣas aus dem Gleichgewicht, vermehren sie sich oder sammeln sich an einem bestimmten Ort im Körper an. Im Ayurveda spricht man dann von aggraviertem oder erhöhtem Doṣa. Wenn das passiert, dann verstärken sich die verschiedenen Eigenschaften (Guṇa) des entsprechenden Doṣas im Körper oder Geist. Ist ein Doṣa überaktiv, dann mehren sich die Eigenschaften im Körper, wie beispielsweise Trockenheit oder Kälte bei Vāta, Hitze oder Schärfe bei Pitta und Verschleimung oder Schwere bei Kapha. Mit der Zeit schädigen oder verunreinigen die erhöhten Doṣas die Körpergewebe (Dhātus), so dass es zu Störungen auf physischer und psychischer Ebene kommt, bis hin zu chronischen und letztendlich unheilbaren Krankheiten.
Die Doṣas sind somit für alle positiven und negativen Veränderungen im Körper verantwortlich. Im Ayurveda sind die drei Doṣas die tragenden Fundamente. Aus diesem Grund wird im Ayurveda bei einer Erstkonsultation immer die Doṣa-Dominanz oder Konstitution eines Menschen ermittelt. Das bildet die Basis einer jeden Ayurveda-Medizin Therapie.
1 Vāt
Vāta kommt von «vā», was Bewegung heißt. Es besteht vorwiegend aus den Elementen Luft und Äther. Diese feinstofflichen Energien setzen in Bewegung. Vāta ist für alle Bewegungsabläufe im Körper verantwortlich. Es steuert die Atmung, setzt Aktivitäten in Gang, ist verantwortlich für die Verdauung (Agni), die Ausscheidung, den Herzschlag, Blutkreislauf, Stofftransport in den Zellen, die Entwicklung des Embryos, das Sprechen und alle Sinnesorgane, für die Informationsübertragung im zentralen und peripheren Nervensystem und für das Denken. Vāta sorgt für Kommunikation und Austausch auf allen Ebenen. Informationen werden aus der Umwelt aufgenommen, weitergeleitet und ausgetauscht.
Ist Vāta im Gleichgewicht erzeugt es Kreativität, geistige Beweglichkeit, Wachheit, Flexibilität und Heiterkeit.
Ist Vāta aus der Balance erzeugt es Furcht, Angst aber auch Störungen in den Bewegungsabläufen und Transportkanälen (Srotas).
Die Eigenschaften (Guṇa) von Vāta sind:
Trocken (rūkṣa)
Kühl (śita)
Leicht (laghu)
Feinstofflich (sūkṣma)
Beweglich (cala)
Nicht schleimig, klar (viśada)
Rau (khara)
Vāta wird besänftigt von Substanzen, die diesen entgegengesetzt sind. (Ca.Sū. I, 59)
Sitz von Vāta
Der Hauptsitz von Vāta ist der Dickdarm.
Weitere Vāta-Sitze sind: Lendenbereich, Kreuzbeinbereich, Oberschenkel, Sinnesorgane und Knochen.
2 Pitta
Pitta wird vom Sanskrit-Wort «tapa» abgeleitet, was Hitze heißt. Dieses Doṣa besteht vorwiegend aus Feuer und geringfügig aus Wasser. Pitta ist für die Aufspaltung und Freisetzung von Energie, für den Katabolismus (Abbaustoffwechsel), die Verdauung, alle Umwandlungsprozesse, für die Körpertemperatur und das Sehvermögen zuständig. Pitta erzeugt Hunger und Durst.
Ist Pitta im Gleichgewicht fördert dies Verständnis, Intelligenz, Zielstrebigkeit, Tapferkeit und Glanz.
Ist Pitta nicht im Gleichgewicht entstehen Ärger, Eifersucht, Hass und entzündliche Krankheiten.
Die Eigenschaften (Guṇa) von Pitta sind:
Heiß (uṣṇa)
Scharf (kaṭu)
Sauer (amla)
Etwas ölig (sasneha)
Penetrierend (tīkṣṇa)
Flüssig (drava)
Beweglich wie eine Flüssigkeit (sara)
Sitz von Pitta
Der Hauptsitz von Pitta ist der Dünndarm und der untere Magen.
Weitere Pitta-Sitze sind: Sehvermögen, Schweiss (Sveda), roter Teil des Blutes (Rakta Dhātu).
3 Kapha
Kapha leitet sich von «ka» ab, was Wasser bedeutet und von «pha», was gedeihen heisst. Damit ist alles gemeint, das durch Wasser gedeiht. Kapha wird hauptsächlich von den Elementen Wasser und Erde dominiert. Kapha ist für die Körper- und Abwehrkraft (Bala) verantwortlich. Es reguliert den Aufbaustoffwechsel (Anabolismus), ist zuständig für die Stabilität, schmiert und ölt die Gelenke und Organe, reguliert den Flüssigkeitshaushalt und ist zuständig für die Potenz.
Wenn Kapha im Gleichgewicht ist, zeigen sich Toleranz, Zufriedenheit und Geduld.
Ist Kapha nicht im Gleichgewicht, leidet der Mensch an Anhaftung, Besitzgier, Faulheit und Übergewicht.
Die Eigenschaften (Guṇa) von Kapha sind:
Schwer (guru)
Kühl (śita)
Weich (mṛdu)
Ölig, fettig (snigdha)
Süß (madhura)
Stabil, träge (sthira)
Schleimig (picchila)
Sitz von Kapha
Der Hauptsitz von Kapha ist der Brustkorb.
Weitere Kapha-Sitze sind: Rachen, Kehle, Kopf, Gelenke, oberer Magen, Rasa Dhātu (Plasma) und Zunge.
… wird fortgesetzt
Literaturverzeichnis
Caraka Samhitā, (CS). (2018 reprint). Sūtrasthāna (Sū.), Vol. I, Chowkhamba Sanskrit Series Office, Varanasi, India
Lad, Vasant.(2012). Lehrbuch des Ayurveda, Bd.1, Narayana Verlag
Bild: Klassische Tibetische Medizin, Farbtafeln: Illustrationen der Abhandlung Blauer Beryll von Sangye Gyamtso (1653 – 1705). Zwei Leinenbände im Schuber
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