In allen Hochkulturen wurden Frauen und Männer nach der Vollendung des 50. Lebensjahres als weise geschätzt. Nicht nur des weißen Hauptes wegen. Ihre Lebenserfahrung und das erworbene Wissen machten sie zu Ratgebern und Schlichtern für die Familie und die soziale Gemeinschaft, denen man besondere Achtung entgegenbrachte.
In der heutigen Gesellschaft haben Leistungsfähigkeit und Jugend das Sagen. Die Weisheit des Alters scheint heute niemandem mehr so wichtig zu sein. Glaubt man den Medien, ist das Alter eine wenig anzustrebende Lebensphase, die gekennzeichnet ist von Verfall und Krankheit. Wenn es irgend geht, versucht man davor zu flüchten. Das Netz der Schönheitsindustrie und Chirurgie wirbt mit faltenfreiem Lächeln für ewige Jugend. Der Traum von der Unsterblichkeit begleitet die Menschheit, soweit wir in der Geschichte zurückblicken können.
“Gesundheit im Alter ist wie Sonnenschein im Spätherbst.” Chinesisches Sprichwort
Der Ayurveda unterteilt das Leben in drei große Lebensabschnitte,, denen die Tri-Doshas, Vata (Elemente Äther und Luft), Pitta (Elemente Feuer und Wasser) und Kapha (Elemente Wasser und Erde) unterliegen. Jede dieser Lebensphasen hält für das Menschsein eigenste Lernabschnitte und Entwicklungsphasen bereit, die es zu meistern gilt. Eine jede hat ihre Aufgabe und ihren Sinn. In der Kindheit, die geprägt ist von der Bioenergie Kapha, entwickeln sich die Körpergewebe, die Sinnesempfindungen und Ojas. Kapha-Störungen, wie Erkältungen, Bronchitis und fiebrige Infekte, sind typisch für diese Lebensphase und können durch eine gezielte, Kapha beruhigende Lebensweise, auskuriert werden. Das Erwachsenenalter, in dem das Pitta-Dosha vorherrscht, ist die Zeit der Ideale und Visionen, des beruflichen Werdegangs, der Familiengründung und des Existenzaufbaus. In dieser Lebensphase kann es zu kurzzeitigen Erkrankungen wie Entzündungen, Fieber und Durchfällen kommen.
Erweiterter geistiger Horizont
Das Alter, unter dem Einfluss der Vata-Energie, beginnt ähnlich wie die Pubertät mit Umwälzungen, die sich bei der Frau auf körperlicher und mentaler Ebene durch die Wechseljahre ankündigen. Für den Mann bedeutet dieser Übergang häufig den Verlust an körperlicher Kraft und den Beginn der Midlifecrisis. Es ist ein für beide Geschlechter häufig sehr schmerzhafter Prozess, da er den Abschied von der Jugend deutlich vor das Auge führt.
Der Einfluss des Vata-Doshas, der sich in dieser Lebensphase auf körperlicher Ebene durch das abbauende Prinzip manifestiert, äußert sich durch Kräfteverlust und die verminderte Regenerationsfähigkeit der Gewebe. Das Unterhautfettgewebe zieht sich zurück, die Haut neigt je nach Konstitution zu Faltenbildung und Trockenheit, die Flexibilität des Bewegungsapparates vermindert sich und die Anfälligkeit für chronische Erkrankungen (Osteoporose und neurologische Beschwerden) nimmt zu. Diese Lebensphase führt auf körperlicher Ebene zwar zu einem Kräfteabbau, auf mentaler und geistiger Ebene jedoch ist es die Zeit, in der die Wahrnehmung eine andere Perspektive auf das Leben einnimmt. Die Emotionen werden unter dem Druck der Hormone nicht mehr zum Brodeln gebracht und der Geist wird gelassener. Die gesammelten Erfahrungen des Lebens erweitern den geistigen Horizont. Die Interessen verschieben sich, spirituelle Themen über das Göttliche, das Leben, das Sterben, treten in den Fokus der Aufmerksamkeit.
Dem Alter Respekt zollen
Es ist an der Zeit, dass wir dem «hohen Alter» wieder die Stellung zukommen lassen, die ihm gebührt: Respekt vor der Reichhaltigkeit an Erfahrung, vor der Weisheit des Lebens und vor dem gemeisterten Lebensweg. Wir sollten Themen wie Vergänglichkeit, Alter und Tod vom Tabu des Schweigens befreien und ihren Platz im Zyklus des Lebens anerkennen. Im Ayurveda ist es nicht der materielle oder berufliche Erfolg, der am Ende des Lebens auf der Waagschale liegt. Es ist die Gesamtschau auf das zurückgelegte Leben, die geistige Essenz, welche die innere Zufriedenheit bewirken. Geistige Interessen und Perspektiven sind der Nährstoff für ein erfülltes Leben im Alter. Der Erhalt der geistigen und der physischen Vitalität kann nicht getrennt betrachtet werden, sie stehen im ständigen Wechselspiel miteinander.
“Das Alter nimmt eine andere Perspektive auf das Leben ein.”
Der renommierte amerikanische Ayurveda-Spezialist David Frawley sagt: «Wer den Geist meistern will, muss auch den Körper, die Sinne, das Prana und die Realität der Welt, in der wir leben, meistern. Ayurveda reinigt und heilt den Körper und den Geist. Die Selbstverwirklichung des Yoga wiederum hängt von einem reinen Körper und Geist ab.» So betrachtet, ist der Ayurveda das Fundament des Yoga und der Yoga ist die Frucht des Ayurveda.
Körperliche und geistige Reinigungen
Für körperliche und geistige Fitness empfiehlt Ayurveda regelmäßige körperliche und geistige Reinigungen. Dazu gehört eine ausgewogene, Vata unterstützende und Vata reduzierende Ernährung und Lebensführung. Yoga und Meditation sind ebenso ein Teil davon, wie die Einnahme spezieller Kräuterpräparate (Rasayanas), um den Aufbau der einzelnen Gewebe in dieser Lebensphase zu unterstützen und um Ojas, die Lebensenergie, zu nähren.
Rasayana – die Regeneration, Vitalisierung, Verjüngung und Erneuerung der sieben Dhatus (Körpergewebe), gelten als ein besonderes Kleinod der ayurvedischen Heilkunde. Sie können pflanzlicher, mineralischer und metallischer Herkunft sein, und ihre Rezepturen und Anwendung werden in den alten Texten beschrieben.
Von der geistigen Ebene aus betrachtet, ist das Altern stark an die Zeit gebunden. Doch was ist Zeit? Das Erleben der Zeit ist abhängig von subjektiven Betrachtungsweisen und wird sehr unterschiedlich erlebt.
1979 führte Ellen Langer, Psychologin und Professorin an der Harvard Universität, ein interessantes Experiment durch: Die Testpersonen dieses Versuches hatten alle das 75. Lebensjahr überschritten und verbrachten eine Woche in einem Ferien-Resort, das für diesen Zweck in allen Details im Stil der Fünfziger-Jahre ausgestattet worden war. Sie wurden aufgefordert, sich so zu verhalten, als seien sie 20 Jahre jünger.
Das Ergebnis dieser Studie war beeindruckend: Es trat eine offensichtliche Verjüngung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein, die diesem Zeitexperiment folgten. Ihre Haut und der Körper strafften sich und sie gingen aufrechter. Ihr Gedächtnis, ihre Sehkraft und ihre manuellen Fähigkeiten verbesserten sich. Der Körper hatte offensichtlich die Erinnerung an die Zeit vor 20 Jahren abgespeichert und folgte dieser Zeitreise. Bei den aktuellen Recherchen, zu Themen wie «respektvoll altern» oder «Altern aus ganzheitlicher Sicht», begegnet man wissenschaftlichen Studien, geförderten Projekten für die Planungsphasen, medizinischen Definitionen und Analysen. Es werden viele Gelder investiert für den alten Menschen, und es entsteht der Eindruck, dass es sich beim Alter um eine Krankheit handelt.
Du bist so jung, wie du dich fühlst
Die aufmerksame Betrachtung des Experimentes von Frau Professor Langer kann eine andere Wahrnehmung, ein anderes Erleben von Alter und Zeit wachrufen. Es erinnert an die uns innewohnenden Ressourcen der Selbstheilung, die in jedem schlummern, und schult unsere Selbstwahrnehmung für diese.
Man hört oft: «Du bist so jung, wie du dich fühlst.» Was, wenn das Fühlen durch die Erinnerung der Jugend, die in den Zellen abgespeichert ist, das physische Altern positiv unterstützt und Vitalität, Gesundheit und Leistungsfähigkeit das Altern mit all seinen Vorzügen erstrebenswert machen? Die Eigenverantwortung für das Altern sollte uns gegenwärtig sein. Der Ayurveda bietet ein reiches Repertoire, um auf die Vorzüge des Alters vorzubereiten und die Lebensfreude zu nähren und zu erhalten. Es gibt keinen Grund, sich vor dem «Nichts mehr wert sein», vor Isolation und Einsamkeit zu fürchten. Es geht vielmehr darum, die Erfahrung, Klugheit, Weisheit zu zelebrieren, sich zurückzulehnen und die Früchte des Lebens zu ernten!
Gesund und fit im Alter
Das Fortschreiten des Alterungsprozesses ist abhängig von der jeweiligen Konstitution, der Lebensweise und der Ernährung. Wichtig ist:
- viel Wärme, nährende Ölmassagen, genügend Ruhe- und Erholungsphasen
- Stress und Aufregung meiden
- liebevolle und anregende Beziehungen, geistiger Austausch
- den freien Willen schulen und erhalten
- Regelmäßigkeit in der Lebensführung
- Yoga, Meditation
- die Einnahme von Rasayanas (lassen Sie sich von einem fachkundigen Heilpraktiker oder Arzt für Ayurveda beraten)
- die Nahrung sollte leicht verdaulich, nährend, wärmend und feucht sein
- kalte Nahrung und schwer verdauliche Nahrung sollte gemieden werden, wenig Rohkost
- ausreichend trinken (warm)
- Gewürze: Dill, Salbei, Petersilie, Kardamom, Fenchelsamen, Ingwer, Safran, Zimt, Nelken, Kreuzkümmel und Muskatnuss
- tierische Produkte sollten nur am Mittag verzehrt werden (zum Beispiel Geflügel, Hüttenkäse, Frischkäse, Butter, Rahm und Joghurt)
- Salate können am Mittag nach der warmen Mahlzeit gegessen werden. Mit leicht gerösteten, gesalzenen Nüssen und Samen sind sie sehr schmackhaft und ein guter Eiweißlieferant
- zu empfehlen sind besonders warme Mahlzeiten wie Suppen, Eintopfgerichte mit Gemüse (Karotten, Süßkartoffeln, Avocado, Kürbis, Spargel, Zucchini, Auberginen, Randen, Erbsen, Sellerie, Lauch) oder Teigwaren (Hartweizen)
- warme Mahlzeiten sind besonders zu empfehlen, zum Beispiel am Morgen einen Porridge, zum Mittag die Hauptmahlzeit und tierisches Eiweiß und am Abend eine warme Suppe oder ein Eintopf.
… wird fortgesetzt.
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