Die Gabe und die Prüfung des Schützen
Die Gabe der Kameradschaft – die Kunst des Zusammenlebens
Die Sehne des Schützebogens steht für die Sehnsucht nach etwas Fernem. Der Schütze will persönliche Ziele in der Zukunft erreichen. Eines nach dem anderen nimmt er sich vor. Innerlich baut er dabei eine Erwartungshaltung auf. Er spannt den Bogen, fokussiert seine Energie auf einen Punkt und lässt sich nicht mehr ablenken. Die Spannung seines Bogens treibt ihn an. Er braucht Spannung im Leben, sonst wird es ihm zu langweilig.
Erfahrungen regen ihn zu einer Art Destillationsprozess an. Er hinterfragt alles, will den wahren Grund erfahren, die Essenz erfassen. Seine Einsichten gießt er in abstrakte Begriffe, philosophische Gedanken und Systeme. Er tauscht sich darüber aus, spricht über Gott und die Welt. In seinem tiefsten Inneren ist er ein Philosoph. Seine Liebe gilt der Weisheit. Sie spornt ihn dazu an, allem einen höheren Sinn zu entlocken.
Dieser Typus wäre am liebsten allwissend. Durch systematische Wissenserweiterung befriedigt er seinen Drang. Er verallgemeinert, standardisiert, rationalisiert, abstrahiert von unwesentlichen Details und schafft umfassende, allgemeingültige Aussagen. Solches Wissen ist von einem Menschen auf den anderen übertragbar. Er vermag Ideen, Werte und Ideale zu formulieren, an denen sich alle orientieren können. Stets tritt er für eine höhere Sache ein -sei dies eine Partnerschaft, eine Firma, die Gesellschaft oder eine Religion. Er ist der Verfechter einer Höherentwicklung, zu deren Elite er sich durchaus zählt. Gesellschaftliche Anerkennung, Ruhm und Ehre genießt er ebenso wie persönlichen und finanziellen Erfolg.
So treffend seine Werte und Ideale im Allgemeinen sein mögen, im speziellen Kontext des Lebens fehlt ihnen mitunter die Rückbindung an den Menschen. In einer Partnerschaft hat doch jeder seine speziellen Bedürfnisse, in einer Firma bringt jeder sein individuelles Leben ein, in der Gesellschaft lebt jeder unter ureigensten Bedingungen und in der Religion findet das Göttliche im Leben der Gläubigen in verschiedenartigsten Formen seinen jeweiligen Ausdruck. In Wirklichkeit ist nichts vollumfänglich auf alle übertragbar. Jedes Ideal muss sich konkretisieren, sich unter den begrenzten Bedingungen eines realen Miteinanders zeigen und belebt werden. Ansonsten ist es nur eine abgehobene Idee, die den Einzelnen in seiner individuellen Lebenssituation nicht erreicht.
Der Göttliche Geist schenkt diesem Typus die Gabe der Kameradschaft. Das Herkunftswort „camera“ steht für einen begrenzten Raum mit gewölbter Decke. Kameraden leben sozusagen zusammen unter einem Thema, das sie über die Köpfe hinweg -also geistig -miteinander verbindet. Ihr gemeinsamer Raum ist begrenzt. Das schafft Nähe und Alltag. Alle sind auf einer Ebene. Weder gibt es Elitäres oder Dünkel, noch Ansprüche oder Erwartungen. Nichts ist im alltäglichen Zusammenleben selbstverständlich.
Für diesen Typus geht es darum, die Entfremdung abgehobener Ideale oder allzu ferner Ziele zu überwinden und mehr Wärme und Nähe zu leben. Das stärkt die Kameradschaft, die Kunst des Zusammenlebens. Er kann gemeinsame Ziele für jeden Einzelnen auf dessen individuelle Lebensbedingungen übersetzen und in die jeweils passende Form bringen. So erreicht er das Herz und den Geist aller. Seine Einsatzbereitschaft und Begeisterung überträgt sich und lässt andere mitziehen. Gemeinsame Bestrebungen nehmen dadurch eine Form an, die jedem Einzelnen die nötige Freiheit schenkt. Alles Überspannte, Übertriebene und Überredende geht vorüber, Zweifel verfliegen und es entsteht echte Einigung. Nicht der persönliche Erfolg zählt, sondern der gemeinsame. Daran fühlt sich dieser Typus gebunden. Am Ende entsteht daraus das Gute für alle, das Sinn macht und ihn selbst erfüllt.
Der Pfeil des Schützen ist Amors Pfeil der Liebe. Dieser Typus sollte sich auf das ausrichten, was er und andere lieben und alle in ihrem individuellen Wesen berührt.
Die Prüfung der Sinnhaftigkeit
Womit auch immer dieser Typus in Beziehung tritt, es hat einen tieferen Sinn. Diesen gilt es zu entdecken. Der Schütze ist das Zeichen der Sinnfindung. Daher fragt er oft nach dem Warum: “Warum ist dieses und jenes passiert, warum reagieren Menschen in einer bestimmten Weise, warum gibt es so viele Konflikte, warum bin ich hier auf der Welt?” Er sollte sich nie mit oberflächlichen Erklärungen begnügen oder sich von Trugbildern täuschen lassen, sondern einer Sache auf den Grund gehen und deren Kern verstehen. Nur dann wird er befriedigende Antworten erhalten und den Sinn von Ereignissen für die Zukunft erkennen.
Warum aber hat gerade er solche Antworten zu finden? Einfach weil er von seiner inneren Natur her die Fähigkeit dazu hat. Die äußere Natur prüft, ob er diese Fähigkeit entsprechend nutzt und tatsächlich Dinge tut, die Sinn stiften, oder ob seine Gabe verschleudert, nach gesellschaftlicher Anerkennung strebt, vorwiegend seine persönlichen Ziele verfolgt und nicht erfasst, womit er in Beziehung steht.
Den Sinn von etwas zu erfassen heißt, alle Faktoren zusammen zu nehmen und deren Essenz als Ganzes zu begreifen. Rein intellektuelle Zugänge, die alle Gefühle ausblenden, helfen diesem Typus nicht. Sie liefern zwar Erklärungen, lassen die wahren Gründe aber im Dunklen. Um Licht in die Sache zu bringen, bedarf es echten Verstehens. Persönliche Erfahrung ist dabei hilfreich. Dies ist auch der Grund, warum ein Schütze-Geborener so viele Erfahrungen machen will wie nur möglich und weder Stillstand noch Einschränkung mag. Er braucht Freiheit und Bewegung. Gierig saugt er die Erfahrungen des Lebens in sich auf und destilliert sie anschließend zu einer Essenz: Was daran war wirklich gut, was war von Bedeutung und hatte wirklichen Wert?
Um etwas umfänglich zu verstehen, muss der Schütze-Geborene nicht notwendigerweise über unmittelbare persönliche Erfahrung verfügen. Es genügt, wenn er eine Art Gefühlsidentifikation mit dem entwickelt, was er verstehen will. Er nimmt dadurch eine innere Beziehung auf, die über ein intellektuelles Denken hinausgeht, und kann auf diese Weise auch andere Menschen in ihrem Wesen erfassen. Wie durch eine Öffnung erreicht er ihr Inneres, ihr Herz und ihren Geist. Er vermag sie zu berühren und zu begeistern -allesamt und doch jeden auf seine eigene Weise. Intelligenz im Bereich der Beziehung zeigt sich als umfassendes Verständnis für andere.
Der Sinn von etwas ist sein Zweck. Daher ist alles Zweckdienliche sinnvoll. Fragt sich nur, für wen. Der Zweck von Steuergesetzen etwa ist die sinnvolle Umverteilung von Geld. Wenn Firmen legal und doch um die Ungerechtigkeit wissend Gesetze zu ihrem Vorteil zweckentfremden, wird dies zurecht von vielen als ungerecht empfunden. Die Prüfung der Sinnhaftigkeit beinhaltet daher weit mehr als nur Zweckdienlichkeit. Der Zweck selbst sollte der Allgemeinheit zugutekommen und niemanden zu sehr benachteiligen. Das Ideal des Schütze-Geborenen ist das Gute für alle. Inwieweit er diesem Ideal in der Realität nahekommt, wird durch sein Gefühl der Erfüllung spürbar. Was ihn erfüllt, ist ein einhelliger Geist und eine zufriedene Gemeinschaft. Fühlt er sich dagegen bereits kurze Zeit nach Erreichen eines Ziels leer, hat der Zweck seiner Bemühungen der Allgemeinheit schlicht zu wenig gedient. Es nützt seiner inneren Natur also nichts, nur nach Erfolg zu streben und ein persönliches Ziel nach dem anderen zu erreichen, wenn er es dabei nicht schafft, mit anderen und sich selbst in Einklang zu kommen.
Das Geheimnis des Sinns verbirgt sich in der Liebe. Durch sie begegnet einem das, was einem fehlt. Wer sich mit dem verbindet, was ihm fehlt, erlebt automatisch das Gefühl der Erfüllung und Sinnhaftigkeit. Sobald dieser Typus erkennt, was alle lieben und brauchen, kann er Einigkeit herstellen und alle zu einer produktiven gemeinschaftlichen Tätigkeit bewegen. Der Zweck einer solchen Unternehmung dient allen und wird von ihnen als sinnvoll empfunden. Erlahmt die gemeinschaftliche Aktivität, kann dieser Typus für jeden einzelnen die passenden Worte finden, Worte, auf die man hört. Wie von selbst überträgt sich dadurch die Begeisterung und lässt jeden mitziehen. Am Ende erreichen alle zusammen das Ziel. Die gemeinsame Teilhabe verbindet und bewirkt Erfüllung und Zufriedenheit.
Will der Schütze-Geborene die Prüfung der Sinnhaftigkeit bestehen, darf er sich weder auf faule Kompromisse einlassen, noch Einsatz und Mühe scheuen. Die Liebe verlangt einem alles ab, aber sie gibt einem auch alles.
Die Synthese von Gabe und Prüfung
Erfüllende Erfahrungen sind mit gemeinsamer Mühe verbunden. Kümmere dich weniger um Ansehen oder Erfolg. Tue mehr das, was du und andere lieben und worin alle Sinn sehen. Begeistere sie und bringe selbst deinen vollen Einsatz. Der Rest kommt von allein. Deine Ideale sind nur dann von Bedeutung, wenn sie dich mit anderen verbinden und das für alle das Gute sichtbar machen. Du kannst gemeinsam mit anderen alle Ziele erreichen.
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