Neptun
Neptun steht für die Kraft der Identifikation. Sich mit etwas identifizieren heißt sich zugehörig fühlen. Beispielsweise identifizieren wir uns mit unserem Land, unser Familie, unserer Arbeit oder unserer Partnerschaft. Je mehr wir etwas als das Unsere empfinden, desto mehr macht es uns aus. Dieser Bezug ändert sich, wenn wir etwa einen neuen Partner finden oder eine neue Arbeit annehmen. Uranus bringt das Neue, Neptun sorgt dafür, dass wir es als das Unsere empfinden können. Anschließend sagen wir “das ist mein Job” oder “das ist mein Partner” und fühlen es auch so. Dann ist der alte Partner nicht mehr unser Partner und der alte Job nur mehr Vergangenheit.
Neptun ist der Gott des Meeres und Gatte der Erde. Er lässt Altes untergehen und Neues auftauchen. Das macht er langsam und schleichend. Auf subtile Weise ändert er in uns das Gefühl, wie sehr wir etwas als das Unsere empfinden. Der Hüter des Lebenstraums regt unsere Wünsche und Träume an. Er macht das Neue sichtbar, das wir für unsere Entwicklung brauchen. Zugleich löst er die Anziehungskraft zu dem Alten auf, das wir nicht mehr brauchen. Am Ende einer Partnerschaft schwindet die Sehnsucht, Gemeinsamkeiten nehmen ab, die Liebe verblasst. Neptun löst auf. Wer trotzdem festhält, erlebt Verlust. Dann wird der Meeresgott zum Erderschütterer, der Sicherheiten zu Fall bringt, Grenzen auflöst, Träume platzen lässt und Täuschungen enttäuscht.
Der Mythos erzählt dazu folgende Geschichte: Einst wollte Minos König werden. Er rief den Meeresgott um Beistand an und versprach, alles zu opfern, was dem Meer entsteige. Da schickte ihm Poseidon/Neptun einen wunderschönen weißen Stier und Minos wurde König. Als es an der Zeit war, das Tier zu opfern, brachte Minos nur ein Scheinopfer. Den Stier behielt er. Poseidon/Neptun durchschaute diese Täuschung. Er entzog Minos die Liebe seiner Ehefrau Pasiphae. Pasiphae bedeutet “die für alle scheint”. Geschenke von Neptun sind stets für alle gedacht. Neptuns Wesen ist die Allliebe, die sich mit allem verbindet. Auch unser Lebenstraum ist mit dem der anderen verbunden, sonst ist es nur ein Wunschtraum. Wer Gaben, Fähigkeiten oder Vermögen nur für sich nutzt, enthält anderen etwas vor, das sie brauchen. Er täuscht sich damit selbst und wird zwangsläufig enttäuscht.
Pasiphae verliebte sich in den weißen Stier. Aus deren Vereinigung entstand der Minotaurus, ein Ungeheuer mit Menschenkörper und Stierkopf. Der Stierkopf symbolisiert Besitzdenken. Wenn wir glauben, an den Geschenken des Lebens festhalten zu können, ist uns Besitz bald wichtiger als unsere Mitmenschen. Anstatt zu besitzen, werden jedoch wir vom Besitz besessen. Wir können nicht mehr loslassen und verlieren die Liebe der anderen. So errichten wir unser eigenes Gefängnis, das Labyrinth des Minotaurus. Nur der rote Lebensfaden der Ariadne führt dort wieder heraus, zurück zu unserem Ausgangspunkt, zurück zur Quelle.
Als Gott der Quellen möchte Neptun uns zurück zu uns selbst führen, damit wir ganz sein können, wer wir sind. Er löst alle Grenzen auf, die uns daran hindern. Neptun schenkt uns alles, was wir dafür brauchen. Jedoch nicht, um es nur für uns zu behalten. Er will, dass Unseres eines Tages auch zu dem der anderen wird. Verbinden und wieder loslassen ist das Geheimnis. Empfangen und weitergeben. In eine Erfahrung hineingehen, sie aber auch wieder enden lassen. So können wir uns mit immer mehr verbinden, ohne festhalten zu müssen. Das Schicksal bringt stets zur rechten Zeit das, was man braucht – auch das Ende des Alten und den Beginn von etwas Neuem.
Neptun ist der Gott der Pferde. Seine Pferde sind wild und ungebändigt. Nur Athene hat die Fähigkeit, sie zu bändigen. Athene ist ein Kind von Metis und Zeus/Jupiter, also von der Weisheit und der Einsicht. Wer mit seinem Kopf einsieht und nach seinem Herzen handelt, vermag Neptuns Kraft aufzunehmen. Er folgt der Strömung des Lebens, die ihn zurück zu sich selbst führt. Pferde stehen für die Kraft der Gedanken. Freie Gedanken entsprechen unserer wahren Natur – dem, was wir wirklich sind. Es lohnt, uns mit ihnen zu identifizieren.
Unsere wahre Natur zum Ausdruck zu bringen, erfordert es, den Weg der Liebe zu gehen. Die Liebe verbindet den Eigenwillen mit dem göttlichen Willen, der allen dient. Dies führt zu echter Hingabe. Erst danach ist Neptun bereit, seine volle Kraft in unser Wollen und Wünschen einfließen zu lassen. So erzählt es uns der Mythos. Ares/Mars, der Eigenwille, kämpfte sich tagsüber durch die Schlachtfelder, um abends in den Armen seiner Geliebten zu liegen. Als er sich mit Aphrodite/Venus vereinigte, fesselte Hephaistos/Vulkan beide mit Netz aneinander. Er, der göttliche Wille und zugleich rechtmäßige Ehemann der Liebesgöttin, ließ die Ehebrecher erst wieder auseinander, nachdem ihm Poseidon/Neptun versprochen hatte, die Brautgeschenke zurückzubezahlen. Daraufhin nahm Poseidon/Neptun den Ares/Mars in seine Obhut.
Stets geht es bei Neptun darum, Gaben und Geschenke wieder loszulassen und zurückzugeben. Das Leben will, dass wir das, was uns durch den göttlichen Willen in Form von Liebe geschenkt wird, an alle weitergeben und dem Leben zurück schenken. Dazu sind wir jedoch erst bereit, wenn wir zu lieben gelernt haben. Lieben bedeutet geben und loslassen. Woran hältst du noch fest, was du schon jetzt mit anderen teilen könntest? Was könntest du loslassen, weil du es in Wirklichkeit gar nicht mehr brauchst?
… wird fortgesetzt
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benjamin.schiller.mail@googlemail.com
Photo Neptune taken by NASA/JPL
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