Die Gabe und die Prüfung des Steinbocks
Die Gabe der persönlichen Integrität
Der Steinbock lebt hoch oben auf dem Berg. Dort ist es einsam, rau und hart. Er braucht nicht viel. Wie kein anderer kann er seine Bedürfnisse zurücknehmen. Von oben hat er den Überblick und erkennt vieles bereits aus der Ferne: Chancen, Risiken, Schwierigkeiten. Dieser Typus ragt unter den anderen heraus. Er steht über ihnen und übernimmt für sie Verantwortung. Er hat klare Vorstellungen, weiß, wo es lang geht, und kann „seine Leute“ durch Schwierigkeiten hindurchführen. Wenn er ein Machtwort spricht, ist er der Macher, der das Heft in der Hand hält und seine Vorstellungen verwirklicht. Andere sind dann von ihm abhängig. Er kümmert sich um das Wesentliche, macht Vorgaben, schafft Strukturen. In ihm steckt eine echte Führungspersönlichkeit.
Dieser Typus neigt zu Zwang. Er zwingt sich auch selbst, übernimmt Aufgaben, die keiner erledigen mag, und tut das, was getan werden muss. So wird er zum Erwachsensten aller Erwachsenen. Er verliert dabei die Lebendigkeit eines Kindes, seine Offenheit und Unbedarftheit. Dann lässt er sich ungern in seinen Verantwortungsbereich reinreden und vertraut lieber traditionell bewährten Ansätzen. Er will die Kontrolle behalten, kritisiert, weist zurecht und verbietet. Auch Strafe muss sein. Je mehr er das Kind in sich unterdrückt, desto mehr sperrt er sich und andere in ein lebloses Korsett von Beschränkungen und Verboten.
Das „Kind“ ist das zutiefst Offene in ihm. Wenn er seine festen Vorstellungen beiseite lässt, ist er offen. Dann kann der Geist in ihn einfließen wie in einen leeren Kelch. Wie aus dem Nichts kommen ihm plötzlich Gedankenblitze und Eingebungen. Diese Erfahrung hat er schon öfter gemacht. Es fällt ihm jedoch schwer, solchen Intuitionen zu vertrauen. Sobald sie seinen Vorstellungen entgegenstehen, unkontrollierbar erscheinen oder Angst bereiten, winkt sein Intellekt ab und übernimmt wieder das Heft des Handelns. Weder findet er dann für sich, noch für andere neue Wege der Belebung und Befreiung.
Dieser Typus hat zwei Kräfte in sich: den Intellekt und die Intuition. Sie sind in ihm getrennt. Daher kommen ihm immer wieder Zweifel. Die erwachsene Persönlichkeit hört auf den Intellekt und will sich von der Intuition nichts sagen lassen. Und doch machen beide Kräfte das Wesen dieses Typus aus. Der Göttliche Geist schenkt ihm deshalb die Gabe der persönlichen Integrität. Sie lässt ihn einverstanden sein mit seinem ganzen Wesen. Er lernt, auf die Intuition zu hören und seinen Intellekt dazu zu nutzen, was dieser am besten kann: etwas konkret verwirklichen. So kann er Intellekt und Intuition zu einem Verstand vereinen.
Integrität kommt vom lateinischen integer und bedeutet frisch, neu, unversehrt, ganz und unvermindert. Durch die Intuition fließt neuer und frischer Geist in diesen Typus ein, auf dass er wieder ganz werde: eins mit sich. Er erkennt, dass er eigentlich viel mehr dürfte und weniger müsste. Wenn seine Selbstbeschränkung aufbricht, führt ihn das zu einem unverminderten Leben. Er lernt, der Intuition zu vertrauen. Er erlaubt sich mehr und integriert die Dinge in sein Leben, die er liebt. Es ist der Geist der Liebe, der in ihn einfließt und ihn mit anderen verbinden will.
Die Intuition des Steinbock-Geborenen ist vor allem für andere gedacht. Sie ist die Antwort des Göttlichen Geistes auf ihre Bedürfnisse und dann am stärksten, wenn dieser Typus ihnen helfen will. Indem er andere unterstützt, befreit er sich selbst. Er übertritt die Schwelle der Überpersönlichkeit und wird über seine Person hinaus wirksam. Er ist der Bergführer, der andere in ihrer Entwicklung fördert und sie nach oben führt. Intuitiv erkennt er ihr wahres Wesen und ihren Weg. Sie sollen selbst starke Persönlichkeiten werden. Ihre Freude, Lebendigkeit und Unversehrtheit spiegelt die seine wider. Wenn er ihr Herz erreicht, dann hat er sie erwachsen werden lassen und sein „inneres Kind“ befreit.
Die Prüfung der Position
Der Steinbock ist das Zeichen der Macht und Autorität. Dieser Typus kann Verantwortung übernehmen und Menschen führen. Mehr als andere vermag er sich zurückzunehmen und eigene Bedürfnisse dem Gemeinwohl unterzuordnen. Seine Mitmenschen bewundern ihn oftmals dafür. Er ist der Starke, den sie um Hilfe fragen und der scheinbar alle Schwierigkeiten des Lebens mühelos überwindet. Besonders nahbar ist er nicht, denn Nähe ist etwas, mit dem er nur bedingt umgehen kann. Es liegt in seiner Natur, Unangenehmes und Hinderliches bereits im Vorfeld aus dem Weg zu räumen, ehe es ihm zu nahe kommt und Probleme bereitet. Er hat die Fähigkeit, sich von etwas zu trennen ,auch von Mitmenschen.
Aufgrund seiner Gaben und auch seines Ehrgeizes, ist er bereit, Aufgaben zu übernehmen, denen andere nicht gewachsen, die ihnen unangenehm sind oder die sie sich nicht zutrauen. Ob er nun eine verantwortungsvolle Position erringt oder sie ihm einfach zufällt, er ist derjenige, dem Mutter Natur einen Platz zuweist und ein gesellschaftliches Feld eröffnet. Von ihm wird erwartet, dass er seine Position einnimmt und auch ausfüllt. Die Fähigkeiten hätte er dazu. Wie er dem gerecht wird, zeigt sich hinterher. Das ist seine Prüfung.
Mit dem zugewiesenen Platz sind sowohl der physische Ort als auch die zugehörigen Rahmenbedingungen wie Regierungssystem, Rasse, Klasse, Familie, Religion oder Kultur gemeint. Eine Diktatur stellt einen vor andere Möglichkeiten als eine Demokratie, und eine Geburt in die Oberschicht vor andere als eine Geburt in die Unterschicht. Der Mensch ist in diesem Sinne eng mit seiner Umgebung und Tradition verbunden, ob ihn diese nun frei lässt oder knebelt, ob er seine Laufbahn gestalten kann oder jedwede Arbeit annehmen muss, nur um zu überleben.
Jeder Platz ist mit einer gesellschaftlichen Verantwortung verbunden. Ein negativer Umgang mit dieser Prüfung besteht darin, sich dieser Verantwortung zu entziehen und etwa eine Position aus rein persönlichen Gründen abzulehnen. Dieser Typus braucht längst nicht alles zu erfüllen, was ihm seine Mitmenschen antragen, dennoch steht er gesellschaftlich mit ihnen in Beziehung und sollte sich mit um deren Belange kümmern , einfach, weil er ein Geschick dafür hat. Es geht darum, das für sie zu tun, was sie wirklich brauchen. Das wäre eine seiner wahren Stärken.
Die Prüfung wird nicht bestanden, wenn dieser Typus Positionen aus Ehrgeiz oder finanziellen Gründen annimmt, Beziehungen egoistisch verwertet und Macht erringt. Macht muss nicht errungen werden. Die Gesellschaft verleiht freiwillig Autorität und delegiert Macht, indem sie ein Amt beziehungsweise eine Position anvertraut. Idealerweise segnet sie beispielsweise durch Wahl die Machtbefugnisse ab, die dieser Typus ohne ihren Vertrauensvorschuss nicht hätte. Im Gegenzug sollte er sich ihres Vertrauens als würdig erweisen und im Sinne aller handeln. Manchmal gehören dazu auch unpopuläre Entscheidungen, die andere aus Angst so nie treffen würden, aber auf lange Sicht für alle dennoch förderlich sind.
Macht in den Händen eines fähigen und um das Gemeinwohl bemühten Menschen ist ein wahrer Segen. Mit einer solchen Absicht sollte dieser Typus Macht ohne Scheu annehmen und Einfluss ausüben. Keine Position ist dabei weniger edel als eine andere. Entscheidend ist ausschließlich die Art und Weise, wie die damit verbundenen Tätigkeiten durchgeführt werden.
Ein Steinbock-Geborener darf sein, wie er ist. Wenn er sich in eine Position hineinpressen muss und sich oder andere durch Verbote und Regeln einschränkt, dient er nicht dem Gemeinwohl. Er braucht eine Position, bei der er stets über sich hinauswachsen kann. Seine Frage lautet: “Kann mich die Position in meiner ganzen Art darstellen, damit ich der sein kann, der ich bin, oder muss ich etwas von mir leugnen?” Wesentlich ist das Wissen um sich selbst. Sein Intellekt wird ihm darauf keine ausreichende Antwort geben.
Früher oder später merkt er, dass ihn seine Intuition am besten lenkt. Seine innere Natur ist mit anderen verbunden und gibt ihm die richtigen Eingebungen zur rechten Zeit. Er braucht sich nur darauf einlassen. Intuition setzt voraus, anderen helfen zu wollen. Dadurch wird eine Integration des inneren Wesens in die Gesellschaft möglich. Anschließend spürt dieser Typus die Nähe, Liebe und Wärme der anderen und ist mit ihnen verbunden. Vor allem lieben sie ihn, wenn er ihnen auch einmal seine schwächeren Seiten offenbart. Dann kann er sein, wie er ist und zugleich seine Position vollkommen ausfüllen.
Die Synthese von Gabe und Prüfung
Übernimm Verantwortung, wenn sie dir angeboten wird. Fülle deine Position ganz aus, aber missbrauche nicht deine Macht. Es schadet dir selbst, wenn du zu hart zu dir bist und andere unnötig einengst. Vertraue deiner Intuition. Sie eröffnet dir Wege zur Befreiung und Belebung, wenn dein Verantwortungsfeld oder du zu erstarren drohen. Erlaube dir, so zu sein, wie du bist, und zu tun, was du liebst. Das bringt dich den Herzen anderer näher.
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