Die zwölf Gaben
Alles um uns herum ist durchdrungen von einer organisierenden Kraft, von purem Geist. Dieser “Göttliche Geist” fasst alle Teile des Raumes zu einer großen Einheit zusammen. Bei einer Ameise mögen wir den Eindruck haben, dass sie nur ein winziges Tier ist: durchaus intelligent organisiert, aber letztlich nicht wirklich intelligent. Im Vergleich dazu ist der Mensch doch um ein Vielfaches intelligenter.
Wie groß aber ist die Erde im Vergleich zu uns und wie groß ist unser Sonnensystem im Vergleich zur Erde? Nur weil eine Ameise unsere Intelligenz nicht begreifen kann, bedeutet das nicht, dass wir keine haben. Warum sollten wir dann der Erde oder gar der Sonne Intelligenz absprechen? Um wie viel größer mag ihre Intelligenz im Vergleich zu unserer sein? Nicht umsonst machten die Griechen in ihrer Mythologie die Erde, die Planeten und die Sonne zu Göttern, den Sternenhimmel zu einer allumfassenden göttlichen Kraft und den gesamten Kosmos zu einem Raum von göttlicher Ordnung.
Mutter Erde ist unsere physische Heimat. Sie hat jedem von uns einen Körper geschenkt. Sie versorgt uns mit Flüssigkeit, Nahrung und Luft. Doch weder die Erde noch wir würden ohne die Sonne existieren. Von ihr kommen die wesentlichen Energien für unser Leben. Sie steht im Zentrum. Die Sonne gibt alles. Ihr Modus ist das Geben von Energie. Es spielt für sie keine Rolle, was ein Lebewesen aus ihrem Energiegeschenk macht. Sie bietet ihre Energie einfach an und schenkt auf diese Weise Leben. Was immer ein Mensch tut, er macht es kraft ihrer Energie.
Die Sonne ist so gesehen der Schöpfer. Sie überträgt mit jedem ihrer Strahlen ihr Wesen und ihre Energie. Wir haben dadurch die Chance, selbst zu einem Sonnenwesen zu werden, zu einem strahlenden Sonnenhelden.
Der griechische Mythos erzählt von einem der größten Sonnenhelden: Herakles. Den Geist hatte er von seinem Vater Zeus, dem mächtigen Göttervater, und von Hera, der Göttermutter, seine übernatürlichen Kräfte. Hera säugte den kleinen Herakles aus Mitleid, weil ihn dessen Mutter ausgesetzt hatte. Doch er sog so stark an ihrer Brust, dass sie ihn vor Schmerz von sich stieß. Ihre Milch spritzte über den Himmel und bildete die Milchstraße. Den Mythos sollte man nicht immer so wörtlich nehmen. Die Milchstraße bildete sich in diesem Moment nicht wirklich neu, vielmehr eröffnete sich dem kleinen Helden erstmals die Welt der Sterne. Er bekam Zugang zum Himmel und zum Tierkreis. Denn wenn er schon ein Sonnenheld werden sollte, musste er schließlich auch Zugang zu all den dort vorhandenen Kräften erhalten.
Von der Erde aus gesehen durchwandert die Sonne einmal pro Jahr die Tierkreiszeichen. Jedem dieser Zeichen ist eine besondere Aufgabe zugeordnet und Herakles bewältigte sie alle. Nicht ohne Fehler, das sei bemerkt, denn auch er war “nur” ein Sterblicher. Doch gemeistert hat er sie. Zuletzt war er der Held, der die Kraft eines jeden Sonnenzeichens beherrschte. Dies macht Herakles zum Sonnenhelden. Auch für uns gilt es, das Potenzial unseres Sonnenzeichens voll auszuschöpfen und alle damit verbundenen Schwierigkeiten zu bewältigen.
Jedes Tierkreiszeichen besitzt seinen eigenen Charakter, seine Geschenke und Gaben, aber auch seine Tücken und Prüfungen. Erstere zu nutzen und mit letzteren umgehen zu lernen, darum geht es bei den Gaben und Prüfungen. Jeder Mensch hat Zugang zum ganzen Tierkreis, unabhängig davon, ob er Widder, Stier oder ein Fische-Geborener ist. Er nimmt an allem teil, was in der Natur vorhanden ist. Zugleich liegen ihm bestimmte Reaktionsweisen am nächsten und sind für ihn auch am wirksamsten. Sie machen sozusagen seinen „Typus“ aus und damit seine natürliche Neigung zu agieren. Angetrieben wird er dabei von der Sonnenkraft, die durch eines der zwölf Tierkreiszeichen fließt. Diese Kraft spezialisiert notwendigerweise seine Reaktionen, sein Denken, Fühlen und Handeln. So wird er zu einem eigenständigen Individuum mit ganz eigenen Verhaltensmustern und Vorstellungen.
Die aktive, alles durchdringende Kraft der Ganzheit, der Göttliche Geist, umfasst alle Teile der Schöpfung und wirkt auf spirituelle Weise auf sie ein. Dort, wo sich der Mensch aus der Ganzheit löst und die Verhaltensmuster seines Typus übertreibt, bietet der Göttliche Geist ein Gegenmittel: die Gabe des jeweiligen Tierkreiszeichens. Sie führt den Menschen zurück zur Ganzheit und harmonisiert das, was die Spezialisierung notwendigerweise disharmonisch gemacht hat. Der Göttliche Geist stillt dadurch sowohl das Bedürfnis der jeweiligen Menschen als auch das seiner Umgebung.
Zum Widder gehört beispielsweise die Gabe der Anpassungsfähigkeit. Sie soll neuen Ideen, die sich aus der Lähmung des Alten erheben, die nötige Anschlusskraft an die Gemeinschaft verleihen. Für den Stier ist die Gabe der Loslösung vorgesehen, die seine festhaltenden Kräfte abmildert, damit immer wieder neues Leben durch ihn und seine Umgebung fließen kann.
Die Gaben können uns helfen, uns besser in die umfassende Natur zu integrieren und unsere Funktion innerhalb des Ganzen besser zu erfüllen. Es sind die „Geschenke des Göttlichen Geistes“. Wir brauchen uns diese nicht mühsam zu erarbeiten. Es genügt, diese zu erkennen und anzunehmen. Sie gleichen einem Heilserum, das wie von allein seine volle Wirkung entfaltet. Wenn wir uns darauf einlassen, erleben wir in uns selbst die Ganzheit, in die wir stets eingebunden sind. Alles fügt sich dann kraft der Gaben des Göttlichen Geistes.
Für uns persönlich sind die Gaben vor allem auf das Sonnenzeichen anwendbar, aber auch auf den Aszendenten, die aufgehende Sonne.
Die zwölf Prüfungen
Die Natur bildet unzählige Formen wie Pflanzen, Tiere und Menschen. Alles ist fortwährend in Bewegung und wandelt sich. Jedes Lebewesen setzt auf der Entwicklung seiner Vorfahren auf und jeder Mensch – sofern man der Lehre von der Wiedergeburt Glauben schenken mag – auf den Fortschritten seiner Vorleben. So oder so kommt es zu einer Weiterentwicklung.
Leben setzt sich fort und entwickelt sich innerhalb der Natur. Es ist der Kern, der die Materie organisiert. Entschwindet das Leben, dann zerfällt der tote Organismus in seine natürlichen Bestandteile und löst sich auf. Leben hält den Organismus zusammen. Es durchdringt jede einzelne Zelle und bildet das, was wir die “innere Natur” des Organismus nennen können, das Wesen, das ihn ausmacht.
Leben für sich genommen ist unsichtbar. Es zeigt sich lediglich, in dem es materielle Bestandteile um sich herum organisiert und die “äußere Natur” bewegt: den Körper. Was immer aus der Natur heraus geboren wird, muss eines Tages zugrunde gehen. Übrig bleibt das Unorganisierte, das nicht mehr zusammengehalten wird und sich verteilt. Dafür gibt es den Begriff der Entropie. In der Physik bedeutet Entropie das Maß der Unumkehrbarkeit, in der Chemie ist sie das Maß der Unordnung. Die Entropie der äußeren Natur nimmt stetig zu und strebt unumkehrbar dem Zustand völliger Auflösung entgegen. Dies gilt für das gesamte Universum wie auch für den menschlichen Körper.
Die äußere Natur folgt dem Weg des geringsten Widerstands. Sie ist träge, reagiert instinktiv und offenbart sich anhand berechenbarer, sich stets wiederholender Handlungen. Wir kennen sie im Menschen als sogenannten “Schweinehund”, der es am liebsten bequem und angenehm hat. Die innere Natur will dagegen schaffen, kreieren und wirken, sich anhand der äußeren Natur erfahren und etwas erleben.
Was innere und äußere Natur miteinander verbindet, ist das Bewusstsein. Lässt sich der Mensch gehen, lässt er der äußeren Natur ihren Lauf. Sie läuft dann in ihm ab und dem Zerfall entgegen. Er selbst lebt dabei weitgehend unbewusst und verliert an Energie. Veränderungen finden so nur statt, wenn etwas zum Angenehmeren gewendet oder Unangenehmes abgewendet werden kann. Ansonsten bleibt alles, wie es ist – eben beim Alten. Schöpferische Tätigkeit zeugt dagegen von bewusster Aktivität, die mehr Energie kostet, als zum unmittelbaren Erhalt des Körpers nötig wäre. Die innere Natur verlässt den Weg des geringsten Widerstands. Sie will ihre Lebendigkeit zum Ausdruck bringen und ihr Potenzial voll ausschöpfen.
Mit der Natur in Einklang zu leben heißt, äußere und innere Natur in Übereinstimmung zu bringen. Jenseits unserer Überlebensbemühungen suchen wir nach Verwirklichung unserer inneren Natur, nach dem, was wir wirklich sind. Das sogenannte Über-sich-Hinauswachsen entspricht genau der Anstrengung, mehr zu sein als nur ein unbewusstes Tier, das lediglich den Gesetzen der äußeren Natur folgt und den Kampf des Stärkeren ums Überleben gewinnt. Wir wollen auch Mensch sein, uns miteinander verbinden, unser Wissen, unsere Erfahrung und unsere Liebe teilen, um unser wahres Wesen in allen Facetten erleben und erkennen zu können.
Wir alle wurden von Mutter Erde geboren und leben in ihrem Reich. Keiner kann an ihr vorbeigehen, sondern jeder muss mit ihr durch sie hindurch. Mutter Erde wird im griechischen Mythos als Gaia bezeichnet. Sie stellte ihre Kinder und Kindeskinder vor immer neue Herausforderungen. Zuerst motivierte sie ihren Sohn Kronos dazu, sich von seinem allumfassenden Vater Uranos zu trennen und zu einem eigenständigen Individuum zu werden. Im Leben des Menschen entspricht dies der Phase der Individualisierung. Ist diese Phase vollzogen und das eigene Ego -genau wie einst der mächtige Kronos – stark genug entwickelt, folgt der nächste große Schritt.
Nun wollte Gaia, dass Zeus, der Sohn von Kronos, die Macht übernimmt. Für den Menschen bedeutet das, seine innere Natur zu entfalten und Zeus, den weisen Anteil in ihm selbst, zu stärken. Anfangs war Zeus noch klein und wuchs mit dem Naturgott Pan in einer Höhle auf. Der “Pan im Inneren” steht für die innere Natur des Herzens. Zeus sollte diese Kraft sichtbar werden lassen. Als er groß und stark genug dazu war, überwältigte Zeus die egoistische Persönlichkeit seines Vaters Kronos. Er tötet ihn aber nicht, sondern schickte ihn auf die Insel der Seligen. Denn die Persönlichkeit wird gebraucht, um die Absichten des Inneren hier auf der Erde zu verwirklichen.
Anschließend musste Zeus gegen die Giganten antreten. Und als auch diese bezwungen waren, brachte Gaia den Typhon hervor, das größte Wesen überhaupt, größer als alles zuvor Dagewesene. Selbst die großen Götter des Olymps hatte vor ihm Angst. Die Gnade von Mutter Erde und damit auch der Natur ist es, dass den Geschöpfen, die sich in ihr entwickeln sollen, die nötige Kraft und das entsprechende Potenzial dazu mitgegeben wird. Dies gilt insbesondere auch für uns Erdenkinder. Die Erde stellt uns immer wieder vor schier unüberwindliche Herausforderungen. Doch jede einzelne davon können wir bewältigen. Diese Herausforderungen sind wie Prüfungen. Geprüft wird dabei vor allem die Entfaltung unseres Potenzials, unser Entwicklungsfortschritt.
Eine Prüfung ist in diesem Sinne nichts, worauf man sich speziell vorbereiten müsste, denn das Leben selbst stellt einem fortwährend den nötigen Stoff dafür zur Verfügung. Es geht allein darum, diese neuen Impulse in sein eigenes Leben aufzunehmen und zu integrieren. Wenn dies nicht gleich gelingt, erhalten wir stets neue Gelegenheiten. Auch das ist eine der Gnaden von Mutter Erde. Nur einfacher wird es in der Regel nicht, eher härter. Denn letztlich geht es bei einer Prüfung um die Bewusstmachung, wo man selbst steht und ob man bereit ist, weiterzugehen. Ist einem diese Entscheidung selbst noch nicht klar, wird das Leben trennschärfer und mitunter auch schärfer im Ton. Eines Tages trifft man diese Entscheidung selbst oder die Würfel fallen von allein. Das Leben geht einfach weiter. Es wartet nicht auf uns. Weiterentwicklung erfordert Weitergehen. Wer zu lange stehen bleibt, wird von der Natur geschubst, damit er den nächsten Schritt geht. Meist wird dieser Schritt dann unbewusst oder aus Druck oder Not heraus gegangen. Doch jeder hatte zuvor die Wahl.
Sind wir bereit und willig zur Entwicklung, werden wir jede Prüfung voller Neugier als Herausforderung zu einem breiteren, offenerem und kraftvolleren Leben betrachten und diese auch meistern. Einer der großen griechischen Helden machte es uns vor: der Sonnenheld Herakles, ein Sterblicher wie wir! Er meisterte alle Prüfungen, die ihm von seiner Mutter auferlegt wurden und fand auf diesem Wege zurück zu seiner schöpferischen Sonnenkraft. Diese Kraft steht uns allen zur Verfügung als Potenzial, das es zu entfalten gilt.
Von Geburt an ist jedem Menschen ein Sonnenzeichen zugeordnet, sein sogenanntes Sternzeichen. Damit verbunden sind sowohl eine Gabe des Göttlichen Geistes als auch eine spezielle Prüfung durch Mutter Erde. Dane Rudhyar hat die Prüfungen in seinem Buch “An Astrological Triptych / Esoterische Astrologie” als kosmische Prüfungen bezeichnet. Sie zeigen sich aber alle in ihren irdischen Formen und dies jeden Tag.
Die Prüfung des Sternzeichens ist auch für unseren Aszendenten wirksam. Sie durchzieht unser gesamtes Leben, selbst wenn uns dies nicht immer bewusst ist. Wo wir auch sein mögen, stellen sich neue Herausforderungen derselben Grundform in immer neuen Ausprägungen. Jede Prüfung hat eine negative wie auch eine positive Lösungsform, ein Fallen wie auch ein Emporsteigen. Welchen Weg wir wählen, bleibt uns überlassen. Das ist unser göttliches Naturrecht.
Nicht nur Astrologen sind Dane Rudhyar zu großem Dank verpflichtet. Er hat die Gaben zum einen Teil den Büchern von Alice Bailey entnommen, zu einem größeren Teil aber selbst geprägt. Die Prüfungen für jedes einzelne Sonnenzeichen hat er vollständig entwickelt und auf seine spezielle Art beschrieben. Mit seinem weiten Blick erfasste er die großen Zusammenhänge. Seine Beschreibungen sind allesamt großartig, aber nicht immer ganz leicht zu lesen. In diesem kurzen Buch werden die Gaben und die Prüfungen neu interpretiert und hoffentlich leicht verständlich vermittelt. Die Essenz jedoch ist Rudhyars Werk entnommen.
Dort, wo es sinnvoll erschien, wurden neue Ideen und Gedanken ergänzt.
Neu in diesem Büchlein ist der Gedanke der Synthese. Gabe und Prüfung eines Zeichens sind nicht voneinander getrennt. Sie kommen in uns zusammen. Ein Widder-Geborener hat sowohl Zugang zur Gabe der Anpassungsfähigkeit als auch zur Prüfung der Isolation. Beide Aspekte sind in ihm gleichzeitig vorhanden. Dies gilt für jedes Geburtszeichen. Daher machte es Sinn, die Essenz beider Aspekte zu einem Ganzen zusammenzufassen – kurz und knackig.
Die Gaben in dieser Form erschienen erstmals im Sonne-Mond Kalender 2016 im Hier und Jetzt Verlag, die Prüfungen in der entsprechenden Folgeausgabe für 2017. Sowohl die Gaben als auch die Prüfungen mussten folglich unabhängig voneinander lesbar sein. Stellenweise bedingte dies inhaltliche Wiederholungen. Der Gewinn für den Leser besteht jedoch darin, eine spezielle Gabe oder Prüfung in jeweils einem einzigen Kapitel abgeschlossen und ohne Rückgriff auf andere Kapitel betrachten zu können.
… wird fortgesetzt
Kontakt
benjamin.schiller.mail@googlemail.com
Kommentare sind geschlossen.